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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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mancher von uns hat diesen lieblichen Blick in Erinnerung, er war damals nicht sehr vom heutigen verschieden, denn die Gebäude sind nach dem großen Brande beinahe unverändert wieder errichtet worden, und von den hohen Bäumen haben drei den Brand überlebt. Da sahen sie ihre Schule liegen, ihre Heimat seit Jahren, von der sie nun bald Abschied nehmen sollten, und
beide fühlten sich von dem Anblick im Herzen ergriffen.
    »Ich glaube, ich habe noch nie richtig gesehen, wie schön es ist«, sagte Josefs Begleiter. »Ach ja, es mag davon kommen, daß ich es zum erstenmal als etwas sehe, was ich verlassen und wovon ich Abschied nehmen muß.«
    »Das ist es«, sagte Knecht, »du hast recht, es geht auch mir so. Aber wenn wir auch von hier fortgehen werden, eigentlich und richtig verlassen wir Eschholz ja doch nicht. Richtig verlassen haben es nur jene, die für immer fortgegangen sind, jener Otto zum Beispiel, der so wunderbare lateinische Juxverse machen konnte, oder unser Charlemagne, der so lang unter Wasser hat schwimmen können, und die anderen. Die haben wirklich Abschied genommen und sich losgelöst. Ich habe lange nicht mehr an sie gedacht, jetzt fallen sie mir wieder ein. Lache mich nur aus, aber diese Abgefallenen haben trotz allem für mich etwas Imponierendes, so wie der abtrünnige Engel Luzifer etwas Großes hat. Sie haben vielleicht das Falsche getan, vielmehr, sie haben ganz ohne Zweifel das Falsche getan, aber immerhin: sie haben etwas getan, sie haben etwas vollzogen, sie haben einen Sprung gewagt, es gehörte Mut dazu. Wir andern, wir haben Fleiß und Geduld gehabt, und Vernunft, aber getan haben wir nichts, gesprungen sind wir nicht!«
    »Ich weiß nicht«, meinte der andre, »manche von ihnen haben weder etwas getan noch gewagt, sondern sie haben einfach gebummelt, bis man sie fortgeschickt hat. Aber vielleicht verstehe ich dich nicht ganz. Was meinst du denn mit dem Springen?«
    »Damit meine ich das Loslassenkönnen, das Ernstmachen, nun eben – das Springen! Ich wünsche mir nicht, in meine frühere Heimat und in mein früheres Leben zurückzuspringen, sie zieht mich nicht, ich habe sie beinah vergessen. Aber ich wünsche mir: einmal, wenn die Stunde kommt und es notwendig sein wird, mich auch losmachen und springen zu können, bloß nicht zurück ins Geringere, sondern vorwärts und ins Höhere.«
    »Nun, dem gehen wir ja entgegen. Eschholz war eine Stufe, die nächste wird höher sein, und schließlich erwartet uns der Orden.«
    »Ja, aber das meinte ich nicht. Wir wollen weiterziehen, amice, das Wandern ist so schön, es wird mich wieder froh machen. Wir sind ja ganz trübsinnig geworden.«
    In dieser Stimmung und diesen Worten, die jener Kamerad uns überliefert hat, meldet sich die stürmische Epoche von Knechts Jugendzeit schon an.
    Zwei Tage waren die Wanderer unterwegs, bis sie am damaligen Wohnort des Musikmeisters anlangten, dem hochgelegenen Monteport, wo der Meister im ehemaligen Kloster gerade einen Kurs für Dirigen
ten abhielt. Der Kamerad wurde im Gästehaus untergebracht, während Knecht eine kleine Zelle in der Wohnung des Magisters bekam. Er hatte dort kaum seinen Rucksack ausgepackt und sich gewaschen, da kam schon sein Wirt herein. Der ehrwürdige Mann gab dem Jüngling die Hand, setzte sich mit einem kleinen Seufzer auf einen Stuhl nieder, schloß für ein paar Augenblicke die Augen, wie er es tat, wenn er sehr müde war, dann sagte er freundlich aufblickend: »Entschuldige mich, ich bin kein sehr guter Wirt. Du kommst eben von der Fußreise und wirst müde sein, und ehrlich gesagt bin ich es auch, mein Tag ist etwas überfüllt – aber wenn du nicht etwa schon schläfrig bist, möchte ich dich gleich jetzt für eine Stunde mit in meine Stube nehmen. Du kannst zwei Tage hierbleiben, und morgen kannst du auch deinen Begleiter zu mir zu Tisch einladen, aber viel Zeit habe ich leider nicht für dich, darum müssen wir sehen, wie wir die paar Stunden herausbringen, die ich für dich brauche. Wir fangen also gleich an, nicht?«
    Er führte Knecht in eine gewölbte große Zelle, darin stand nichts von Hausrat als ein altes Klavier und zwei Stühle. In die setzten sie sich.
    »Du kommst bald in eine andere Stufe«, sagte der Meister. »Dort wirst du allerlei Neues lernen, es ist viel Hübsches dabei, auch am Glasperlenspiel wirst du wohl bald zu nippen beginnen. Das alles ist schön
und ist wichtig, aber eines ist wichtiger als alles andre: du wirst das Meditieren lernen.

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