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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Unterrichts und aller geistigen Organisationen im Lande. Wer einmal Eliteschüler ist, für den kommt, falls er nicht in irgendeinem der Lehrgänge versagt und in die Normalschulen zurückgeschickt werden muß, kein Fach- und Brotstudium mehr in Betracht, sondern aus den Eliteschülern rekrutiert sich der »Orden« und die Hierarchie der gelehrten Behörde, vom Schullehrer bis zu den obersten Ämtern: den zwölf Studi
endirektoren oder »Meistern« und dem Ludi Magister, dem Leiter des Glasperlenspiels. Meist wird der letzte Lehrgang der Eliteschulen im Alter von zweiundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren abgeschlossen, und zwar durch die Aufnahme in den Orden. Von da an stehen nun den ehemaligen Eliteschülern alle Bildungsanstalten und Forschungsinstitute des Ordens und der Erziehungsbehörde zur Verfügung: die für sie reservierten Elite-Hochschulen, die Bibliotheken, Archive, Laboratorien und so weiter samt einem großen Stab von Lehrern sowie die Einrichtungen des Glasperlenspiels. Wer während der Schuljahre eine spezielle, fachliche Begabung erkennen läßt, für Sprachen, für Philosophie, für Mathematik oder was es nun sei, der wird schon in den obern Stufen der Eliteschulen in den Lehrgang hinübergesiebt, der seiner Begabung die beste Nahrung bietet; die meisten dieser Schüler enden als Fachlehrer an den öffentlichen Schulen und Hochschulen und bleiben, auch wenn sie Kastalien verlassen haben, lebenslänglich Mitglieder des Ordens, das heißt sie stehen in streng eingehaltenem Abstand von den »Normalen« (den nicht in der Elite Ausgebildeten) und können – außer sie nähmen ihren Austritt aus dem Orden – niemals »freie« Fachmänner werden wie der Arzt, der Anwalt, der Techniker und so weiter, sondern unterstehen zeitlebens den Regeln des Ordens, zu welchen unter andern die Besitzlosigkeit und die Ehe
losigkeit gehören; das Volk nennt sie, halb spöttisch, halb respektvoll, »Mandarine«. Auf diese Art findet die große Mehrzahl der einstigen Eliteschüler ihre endgültige Bestimmung. Der kleine Rest aber, die letzte und feinste Auswahl aus den kastalischen Schulen, bleibt einem freien Studium von nicht begrenzter Dauer und einem beschaulich-fleißigen Geistesleben vorbehalten. Manche Hochbegabte, welche jedoch wegen Charakterungleichheiten oder aus andern Gründen, etwa wegen körperlicher Mängel, sich nicht zu Lehrern und zu verantwortlichen Ämtern in der oberen oder unteren Erziehungsbehörde eignen, studieren, forschen oder sammeln lebenslänglich weiter, Pensionäre der Behörde, ihre Leistung fürs Ganze besteht zumeist in rein gelehrten Arbeiten. Einige sind als Berater den Wörterbuch-Kommissionen, den Archiven, Bibliotheken und so weiter zugeteilt, andre betreiben ihre Gelehrsamkeit nach der Devise l'art pour l'art, schon manche von ihnen haben ihr Leben an sehr entlegene und oft wunderliche Arbeiten gewendet, wie etwa jener Lodovicus crudelis, der in dreißigjähriger Arbeit alle überlieferten altägyptischen Texte sowohl ins Griechische wie ins Sanskrit übersetzt hat, oder der etwas wunderliche Chattus Calvensis II ., der in vier gewaltigen handschriftlichen Foliobänden ein Werk über »die Aussprache des Lateins an den Hochschulen des südlichen Italien gegen Ende des zwölften Jahr
hunderts« hinterließ. Dies Werk war gedacht als erster Teil einer »Geschichte der Aussprache des Lateins vom zwölften bis zum sechzehnten Jahrhundert«, ist aber trotz seiner tausend Manuskriptblätter Fragment geblieben und von niemandem fortgesetzt worden. Es ist begreiflich, daß über rein gelehrte Arbeiten dieser Art manche Späße gemacht werden, ihr tatsächlicher Wert für kommende Zeiten der Wissenschaft und für das Volksganze läßt sich in keiner Weise berechnen. Indessen bedarf die Wissenschaft, ebenso wie in früheren Zeiten die Kunst, nun einmal einer gewissen weitgesteckten Weide, und zuzeiten kann der Erforscher irgendeines Themas, für welches außer ihm sich niemand interessiert, in sich ein Wissen ansammeln, das seinen mitlebenden Kollegen höchst wertvolle Dienste leistet wie ein Wörterbuch oder ein Archiv. Soweit möglich wurden gelehrte Arbeiten wie die erwähnten auch gedruckt. Man ließ die eigentliche Gelehrtenschaft in nahezu vollkommener Freiheit ihre Studien und Spiele treiben und stieß sich nicht daran, daß manche ihrer Arbeiten augenscheinlich dem Volk und Gemeinwesen keinen unmittelbaren Nutzen brachten, ja den Nichtgelehrten als luxuriöse Spielereien

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