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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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geheimer Mission, oder ein inkognito reisender Fürst; und indem er seinen Beobachtungen nachsann, erinnerte er sich aus den vergangenen Monaten noch des einen und andern Gastes, der ihm jetzt im nachhinein ebenfalls geheimnis- oder bedeutungsvoll erscheinen wollte. Dabei fiel ihm der Vorstand der »Polizei« ein, der freundliche Herr Dubois, und dessen Bitte, je und je ein Auge gerade auf solche Vorgänge im Kloster zu haben, und wenn er auch zu solchen Berichten noch immer keinerlei Lust noch Beruf spürte, schlug ihm doch das Gewissen darüber, daß er dem wohlwollenden Manne seit langem nicht geschrieben und ihn vermutlich recht eigentlich enttäuscht habe. Er schrieb ihm einen langen Brief, suchte sein Schweigen zu erklären und erzählte, um dem Brief doch einige Substanz zu geben, ein wenig von seinem Verkehr mit Pater Jakobus. Er ahnte nicht, wie sorg
fältig und von wem alles sein Brief würde gelesen werden.

Die Mission
    Knechts erster Aufenthalt im Kloster dauerte zwei Jahre; um die Zeit, von der hier die Rede ist, stand er im siebenunddreißigsten Lebensjahr. Am Ende dieses Gastaufenthaltes im Stift Mariafels, etwa zwei Monate nach dem Datum seines langen Briefes an den Vorstand Dubois, wurde er eines Morgens in das Sprechzimmer des Abtes gerufen. Er dachte, der leutselige Herr werde sich ein wenig über Chinesisches zu unterhalten Lust haben, und machte ungesäumt seine Aufwartung. Gervasius kam ihm mit einem Brief in der Hand entgegen. »Man beehrt mich mit einem Auftrag an Sie, Hochgeschätzter«, rief er in seiner behäbig gönnerhaften Art vergnügt und verfiel auch alsbald in den ironischen Neckton, wie er sich als Ausdruck des noch nicht ganz geklärten Freundschaftsverhältnisses zwischen dem geistlichen und dem kastalischen Orden herausgebildet hatte und der eigentlich eine Schöpfung des Paters Jakobus war. »Übrigens alle Achtung vor Ihrem Magister Ludi! Der kann Briefe schreiben! Mir hat er lateinisch geschrieben, der Herr, Gott weiß warum; bei euch Kastaliern weiß man ja, wenn ihr irgend etwas
tut, niemals, ob ihr damit eine Höflichkeit oder eine Verspottung, eine Ehrung oder eine Belehrung beabsichtigt. Also mir hat dieser ehrwürdige Dominus lateinisch geschrieben, und zwar ein Latein, wie es zur Zeit in unsrem ganzen Orden niemand zustande brächte, höchstens den Pater Jakobus ausgenommen. Es ist ein Latein wie aus der unmittelbaren Schule Ciceros und doch mit einem wohlerwogenen kleinen Schuß Kirchenlatein parfümiert, von dem man natürlich auch wieder nicht weiß, ob er naiv als ein Köder für uns Pfaffen oder ironisch gemeint, oder einfach nur aus einem unbezähmbaren Trieb zum Spielen, Stilisieren und Dekorieren entstanden ist. Also der Verehrungswürdige schreibt mir: man halte es dortseits für wünschenswert, Sie einmal wieder zu sehen und zu umarmen, auch festzustellen, inwieweit etwa der lange Aufenthalt unter uns Halbbarbaren moralisch und stilistisch korrumpierend auf Sie gewirkt habe. Kurz, sofern ich das umfangreiche literarische Kunstwerk richtig verstanden und gedeutet habe, wird Ihnen ein Urlaub bewilligt, und ich werde ersucht, meinen Gast für eine nicht befristete Weile nach Waldzell heimzusenden, nicht für immer jedoch, sondern es liege Ihre baldige Wiederkehr, sofern sie uns angenehm scheine, durchaus in der Absicht der dortigen Behörde. Nun, entschuldigen Sie, ich vermochte längst nicht alle Finessen des Schreibens würdig zu interpretieren, Magister Thomas hat
das wohl auch gar nicht von mir erwartet. Das Briefchen hier soll ich Ihnen übergeben, und nun gehen Sie, und überlegen Sie sich, ob und wann Sie reisen wollen. Wir werden Sie vermissen, mein Lieber, und werden, falls Sie gar zu lange ausbleiben sollten, nicht verfehlen, Sie wieder bei Ihrer Behörde zu reklamieren.«
    In dem Briefe, den er Knecht übergeben hatte, wurde diesem von der Behörde kurz mitgeteilt, es sei ihm zur Erholung sowohl wie zur Aussprache mit den Oberen ein Urlaub gewährt, und man erwarte ihn nächstens in Waldzell. Auf die Vollendung des laufenden Spielkurses für Anfänger möge er, falls nicht der Abt es ausdrücklich wünsche, keine Rücksicht nehmen. Der Alt-Musikmeister lasse ihn grüßen. Beim Lesen dieser Zeile stutzte Josef und wurde nachdenklich: wie kam der Verfasser des Briefes, der Magister Ludi, dazu, mit diesem Gruß beauftragt zu werden, der ohnehin in das amtliche Schreiben nicht recht passen wollte? Es mußte eine Konferenz der Gesamtbehörde, unter

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