Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Alt-Musikmeister, welcher selber einst in jungen Jahren Gast von Mariafels gewesen und dort die benediktinische Musik stu
diert hatte und der ihn nun nach vielem ausfragte. Er fand den alten Herrn zwar etwas leiser und abgewandter, aber an Aussehen kräftiger und heiterer als beim letztenmal, die Müdigkeit war aus seinem Gesicht gewichen, er war nicht jünger, aber hübscher und feiner geworden, seit er sein Amt niedergelegt hatte. Es fiel Knecht auf, daß er ihn wohl nach der Orgel, den Notenschränken und dem Chorgesang in Mariafels fragte, auch vom Baum im Kreuzgarten wissen wollte, ob er noch stehe, nach seiner dortigen Tätigkeit aber, nach dem Glasperlenspielkurs, nach dem Zweck seines Urlaubs ohne alle Neugierde schien. Immerhin gab ihm der Alte vor seiner Weiterreise ein Wort mit, das ihm wertvoll war. »Ich habe vernommen«, sagte er in einem wie spaßenden Ton, »du seiest so etwas wie ein Diplomat geworden. Eigentlich kein schöner Beruf, aber es scheint, man sei mit dir zufrieden. Denke du darüber, wie du magst! Falls es aber nicht dein Ehrgeiz sein sollte, in diesem Beruf für immer zu bleiben, dann sieh dich vor, Josef; ich glaube, man will dich einfangen. Wehre dich, du hast das Recht dazu. – Nein, frage nicht, ich sage kein Wort weiter. Du wirst ja sehen.«
Trotz dieser Warnung, die er als Stachel in sich trug, empfand er bei seiner Ankunft in Waldzell eine Heimat- und Wiedersehensfreude wie noch nie; ihm wollte scheinen, dies Waldzell sei nicht nur seine Heimat und der schönste Ort der Welt, sondern es sei
auch inzwischen noch hübscher und interessanter geworden, oder als habe er neue Augen und ein gesteigertes Sehvermögen mitgebracht. Und dies galt nicht nur den Toren, Türmen, den Bäumen und dem Fluß, den Höfen und Sälen, den Gestalten und altbekannten Gesichtern, er empfand auch während seines Urlaubs für den Geist Waldzells, für den Orden und das Glasperlenspiel jene gesteigerte Aufnahmefähigkeit, jenes gewachsene und dankbare Verständnis des Heimgekehrten, des Gereisten, des reifer und klüger Gewordenen. »Mir ist«, sagte er zu seinem Freund Tegularius am Schlusse eines lebhaften Lobgesangs auf Waldzell und Kastalien, »mir ist, als habe ich alle die Jahre hier im Schlaf hingebracht, glücklich zwar, aber wie ohne Bewußtsein, und als sei ich jetzt erwacht und sähe alles scharf und klar, als Wirklichkeit bestätigt. Daß zwei Jahre Fremde so die Augen schärfen können!« Er genoß seinen Urlaub wie ein Fest, namentlich die Spiele und Diskussionen mit den Kameraden, im Kreis der Elite des Vicus Lusorum, das Wiedersehen der Freunde, den Genius Loci von Waldzell. Aber allerdings kam diese Hochstimmung von Glück und Freude erst nach seinem ersten Empfang beim Glasperlenspielmeister zum Blühen, bis dahin war seiner Freude noch eine Bangigkeit beigemischt.
Der Magister Ludi stellte weniger Fragen, als Knecht erwartet hatte, kaum daß er den Anfänger-Spielkurs
und Josefs Studien im Musikarchiv erwähnte, nur über den Pater Jakobus konnte er gar nicht genug zu hören bekommen, immer wieder kam er auf ihn zu sprechen, nichts war ihm zuviel, was Josef ihm von diesem Mann erzählte. Daß man mit ihm und seiner Mission bei den Benediktinern zufrieden, ja sogar sehr zufrieden sei, konnte er nicht nur aus der großen Freundlichkeit des Meisters schließen, sondern beinahe noch mehr aus dem Benehmen des Herrn Dubois, zu welchem der Magister ihn gleich weitergeschickt hatte. »Du hast deine Sache ausgezeichnet gemacht«, sagte dieser und fügte mit leisem Lachen hinzu: »Ich hatte wirklich damals keinen guten Instinkt, als ich von deiner Sendung ins Kloster abriet. Daß du außer dem Abt auch noch den großen Pater Jakobus für dich eingenommen und für Kastalien günstiger gestimmt hast, ist viel, es ist mehr, als irgend jemand zu hoffen wagte.« Zwei Tage später lud ihn der Glasperlenspielmeister zusammen mit Dubois und dem derzeitigen Leiter der Waldzeller Eliteschule, dem Nachfolger Zbindens, zum Essen ein, und bei der Gesprächsstunde nach dem Essen fand sich unversehens auch der neue Musikmeister sowie der Archivar des Ordens ein, zwei weitere Mitglieder der obersten Behörde also, und der eine von ihnen nahm ihn noch mit sich ins Gästehaus zu einer langen Unterhaltung. Diese Einladung rückte Knecht zum erstenmal für alle sichtbar in den engsten Kreis
der Kandidaten für hohe Ämter und richtete zwischen ihm und dem Durchschnitt der Spielerelite eine alsbald fühlbare
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