Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
sein Kommen einen großen Freundesdienst getan.« Und er erzählte dem Pater von seiner Teilnahme am Wettbewerb. Dieser sah es gerne, daß Knecht sich für sei
nen Freund wehrte. »Gut gegeben!« lachte er freundlich. »Aber Sie haben auch wirklich, wie es scheint, lauter Freunde, mit denen es sich etwas schwierig verkehrt.« Er genoß Knechts Nichtverstehen und verwundertes Gesicht und sagte dann leichthin: »Diesmal meine ich einen andern. Wissen Sie Neues von Ihrem Freund Plinio Designori?« Josefs Verwunderung wurde womöglich noch größer; ganz betroffen bat er um Aufklärung. Es hing so zusammen: Designori hatte in einer politischen Streitschrift sich zu heftig antiklerikalen Gesinnungen bekannt und dabei auch den Pater Jakobus recht energisch angegriffen. Dieser hatte von seinen Freunden bei der katholischen Presse Informationen über Designori bekommen, in welchen auch dessen kastalische Schulzeit und sein bekanntes Verhältnis zu Knecht erwähnt war. Josef bat sich den Aufsatz Plinios zum Lesen aus; daran schloß sich das erste Gespräch aktuell politischen Inhalts, das er mit dem Pater hatte und dem auch nur wenige nachfolgten. »Wunderlich und beinahe erschreckend«, schrieb er an Ferromonte, »war es mir, die Figur unsres Plinio und, als Anhängsel, auch meine eigene plötzlich auf das Welttheater der Politik gestellt zu sehen, ein Aspekt, an dessen Möglichkeit ich bis dahin nie gedacht hatte.« Übrigens sprach sich der Pater über jene Streitschrift Plinios eher anerkennend, jedenfalls ohne Empfindlichkeit aus, er lobte Designoris Stil und fand, man merke
ihm die Eliteschule recht wohl an, man sei sonst in der Tagespolitik mit sehr viel weniger an Geist und Niveau zufrieden.
Von seinem Freund Ferromonte bekam Knecht um diese Zeit die Abschrift eines ersten Teiles seiner später zu Berühmtheit gelangten Arbeit zugesandt mit dem Titel: »Die Aufnahme und Verarbeitung slawischer Volksmusik durch die deutsche Kunstmusik von Josef Haydn an.« In Knechts Antwortbrief auf diese Sendung lesen wir unter andrem: »Du hast aus Deinen Studien, deren Genosse ich einst eine Weile sein durfte, ein bündiges Fazit gezogen; die beiden Kapitel über Schubert, zumal über die Quartette, gehören zum Gediegensten an Musikgeschichte, was ich aus neuerer Zeit kenne. Gedenke meiner zuweilen, ich bin weit von solch einer Ernte entfernt, wie sie Dir geglückt ist. So sehr ich mit meiner hiesigen Existenz zufrieden sein darf – denn meine Mariafelser Mission scheint nicht erfolglos zu sein –, empfinde ich doch zuweilen meine lange Entfernung aus der Provinz und aus dem Waldzeller Kreis, dem ich angehöre, als beklemmend. Ich lerne hier viel, unendlich viel, aber es ist nicht ein Zuwachs an Sicherheit und fachlicher Brauchbarkeit, den ich hier erfahre, sondern ein Zuwachs an Problematik. Freilich auch an Horizont. Über die Unsicherheit, Fremdheit, den Mangel an Zuversicht, Heiterkeit und Selbstvertrauen und andres Üble, was ich namentlich während
meiner ersten zwei Jahre hier oft empfand, bin ich freilich jetzt beruhigter: neulich war Tegularius hier, nur drei Tage, aber so sehr er sich auf mich gefreut hatte und auf Mariafels neugierig gewesen war, er hielt es schon am zweiten Tage beinahe nicht mehr aus vor Bedrücktheit und Sichfremdfühlen. Da ja schließlich auch ein Kloster eher eine behütete, friedliche und geistfreundliche Welt ist und noch lange kein Zuchthaus, keine Kaserne oder Fabrik, ziehe ich aus meiner Erfahrung den Schluß, daß wir Leute aus unsrer lieben Provinz weit verwöhnter und empfindsamer sind, als wir selber wissen.«
Eben in jener Zeit, aus welcher der Brief an Carlo datiert ist, brachte Knecht den Pater Jakobus dazu, daß er in einem kurzen Schreiben an die kastalische Ordensleitung sein Jawort in der bewußten diplomatischen Frage gab, jedoch die Bitte hinzufügte, man möge den »hierorts allgemein beliebten Glasperlenspieler Josef Knecht«, der ihn eines Privatissimum de rebus castaliensibus würdige, noch eine Weile hier belassen. Selbstverständlich machte man sich drüben eine Ehre daraus, seinen Wunsch zu erfüllen. Knecht aber, der eben noch so weit von seiner »Ernte« entfernt zu sein geglaubt hatte, erhielt ein von der Ordensleitung und Herrn Dubois gezeichnetes Anerkennungsschreiben über die Durchführung seines Auftrags. Was ihm an diesem hochamtlichen Schreiben im Augenblick am wichtigsten schien und die
meiste Freude machte (er meldete es beinahe triumphierend in einem
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