Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
gewonnen als den großen Benediktiner.
Je und je gab der Pater, wenn Knecht sich nach einer Arbeitszeit von ihm verabschiedete, ihm zu verstehen, daß er heute abend für ihn zu Hause sei; das waren auf die Anstrengungen der Lektionen und die Spannungen der Diskussionen hin friedliche Stunden, zu welchen Josef häufig sein Klavichord oder auch eine Geige mitbrachte, dann setzte sich der Alte ans Klavier im sanften Licht einer Kerze, deren süßer Wachsduft den kleinen Raum erfüllte gleich der Musik von Corelli, Scarlatti, Telemann oder Bach, die sie abwechselnd oder gemeinsam spielten. Früh ging der alte Herr schlafen, während Knecht, von der kleinen musikalischen Abendandacht gestärkt, seine Ar
beitszeit bis zur Grenze des von der Disziplin Erlaubten in die Nacht ausdehnte.
Außer seinem Lernen und Lehren beim Pater nämlich, dem läßlich betriebenen Spielkurs im Kloster und etwa je und je einem chinesischen Colloquium mit dem Abt Gervasius finden wir Knecht zu jener Zeit noch mit einer recht umfangreichen Arbeit beschäftigt; er beteiligte sich, was er die beiden letzten Male unterlassen hatte, an dem jährlichen Wettbewerb der Waldzeller Elite. Bei diesem Wettbewerb mußten auf Grund von drei bis vier vorgeschriebenen Hauptthemen Entwürfe zu Glasperlenspielen ausgearbeitet werden, es wurde Wert auf neue, kühne und originelle Verknüpfungen der Themen bei höchster formaler Sauberkeit und Kalligraphie gelegt, und es waren bei diesem einzigen Anlaß den Konkurrenten auch Überschreitungen des Kanons erlaubt, das heißt, man hatte das Recht, sich auch neuer, in den offiziellen Kodex und Hieroglyphenschatz noch nicht aufgenommener Chiffern zu bedienen. Dadurch wurde dieser Wettbewerb, nächst den öffentlichen großen Weihespielen ohnehin das erregendste Ereignis im Spielerdorf, auch zu einer Konkurrenz der aussichtsreichsten Anwärter auf neue Spielzeichen, und die denkbar höchste, sehr selten verliehene Auszeichnung eines Siegers bei diesem Wettkampf bestand darin, daß nicht nur sein Spiel als das beste Kandidatenspiel des Jahres feierlich
zur Aufführung gelangte, sondern daß auch noch der von ihm dargebotene Zuwachs zu Grammatik und Sprachschatz des Spieles anerkannt und in das Spielarchiv und die Spielsprache aufgenommen wurde. Einst war, vor etwa fünfundzwanzig Jahren, der große Thomas von der Trave, der jetzige Magister Ludi, dieser seltenen Ehre gewürdigt worden mit seinen neuen Abbreviaturen für die alchimistische Bedeutung der Tierkreiszeichen, wie denn Magister Thomas auch späterhin viel für die Kenntnis und Einordnung der Alchimie als einer aufschlußreichen Geheimsprache geleistet hat. Knecht nun verzichtete für diesmal auf die Verwendung neuer Spielwerte, deren er wie wohl fast jeder Kandidat manche bereit gehabt hätte, er nahm ferner auch die Gelegenheit nicht wahr, ein Bekenntnis zur psychologischen Spielmethode abzulegen, was ihm eigentlich wohl nahegelegen wäre; er baute ein Spiel von zwar moderner und persönlicher Struktur und Thematik, vor allem aber von einer durchsichtig klaren, klassischen Komposition und streng symmetrischer, nur mäßig ornamentierender, altmeisterlich anmutiger Durchführung auf. Vielleicht war es die Entfernung von Waldzell und dem Spielarchiv, die ihn dazu zwang, vielleicht war es die starke Inanspruchnahme seiner Kraft und seiner Zeit durch die historischen Studien, vielleicht auch leitete ihn mehr oder weniger bewußt der Wunsch, sein Spiel so zu stilisieren, wie es dem
Geschmack seines Lehrers und Freundes, des Paters Jakobus, am meisten entsprechen mochte; wir wissen es nicht.
Wir haben den Ausdruck »psychologische Spielmethode« gebraucht, der vielleicht nicht jedem unserer Leser ohne weiteres verständlich ist; zu Knechts Zeiten war er ein oft gehörtes Schlagwort. Es gab wohl zu jeder Zeit Strömungen, Moden, Kämpfe und wechselnde Anschauungen und Sinngebungen unter den Eingeweihten des Glasperlenspiels, und zu jener Zeit waren es vor allem zwei Auffassungen des Spiels, um die der Streit und die Diskussion ging. Man unterschied zwei Spieltypen, den formalen und den psychologischen, und wir wissen, daß Knecht, ebenso wie Tegularius, obwohl er sich dem Wortstreit ferne hielt, zu den Anhängern und Förderern des letzteren gehörte, nur hat Knecht, statt von der »psychologischen Spielweise«, meist lieber von der »pädagogischen« gesprochen. Das formale Spiel strebte danach, aus den sachlichen Inhalten jedes Spieles, den mathematischen,
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