Das Glasperlenspiel
und nicht mehr mitteilsam, und an ihrer Stelle kauerte und erzählte die Tochter, und wie sie die Geschichten und Sprüche alle von der Urgroßmutter hatte, so hatte sie von ihr auch die Stimme, die Gestalt, die stille Würde der Haltung, der Bewegungen und des Sprechens, und die Jüngeren unter den Zuhörern kannten sie viel besser als ihre Mutter und wußten schon beinahe nichts mehr davon, daß sie an Stelle einer anderen saß und die Geschichten und Weistümer des Stammes mitteilte. Von ihrem Munde floß an den Abenden der Quell des Wissens, sie verwahrte den Schatz des Stammes unter ihrem weißen Haar, hinter ihrer sanft gefurchten alten Stirn wohnte die Erinnerung und der Geist der Siedlung. Wenn einer wissend war und Sprüche oder Geschichten kannte, so hatte er sie von ihr. Außer ihr und der Uralten gab es nur noch einen Wissenden im Stamm, der aber verborgen blieb, einen
geheimnisvollen und sehr schweigsamen Mann, den Wetter-oder Regenmacher.
Unter den Zuhörenden kauerte auch der Knabe Knecht und neben ihm ein kleines Mädchen, das hieß Ada. Dieses Mädchen hatte er gern und begleitete und beschützte es oft, nicht aus Liebe eigentlich, davon wußte er noch nichts, er war selber noch ein Kind, sondern weil sie die Tochter des Regenmachers war.
Ihn, den Regenmacher, verehrte und bewunderte Knecht sehr, nächst der Urahne und ihrer Tochter niemand so wie ihn. Aber sie waren Frauen. Sie konnte man verehren und fürchten, doch konnte man nicht den Gedanken fassen und den Wunsch in sich hegen, zu werden, was sie waren. Der Wettermacher nun war ein ziemlich unnahbarer Mann, es war für einen Knaben nicht leicht, sich in seiner Nähe zu halten; man mußte Umwege
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gehen, und einer der Umwege zum Wettermacher war Knechts Sorge um dessen Kind. Er holte es so oft wie möglich in des Wettermachers etwas abgelegener Hütte ab, um am Abend vor der Hütte der Alten zu sitzen und sie erzählen zu hören, und brachte sie dann wieder heim.
So hatte er auch heute getan und hockte nun neben ihr in der dunklen Schar und hörte zu.
Die Ahne erzählte heute vom Hexendorf. Sie erzählte:
»Manchmal gibt es in einem Dorf eine Frau, die von böser Art ist und es mit niemandem gut meint. Meistens bekommen diese Frauen keine Kinder. Manchmal ist eins von diesen Weibern so böse, daß das Dorf sie nicht mehr bei sich haben will. Dann holt man das Weib in der Nacht, legt ihren Mann in Fesseln, züchtigt das Weib mit Ruten und treibt es dann weit in die Wälder und Sümpfe hinaus, man verflucht es mit einem Fluch und läßt es dort draußen. Dem Mann nimmt man alsdann die Fesseln wieder ab, und wenn er nicht zu alt ist, kann er sich zu einer andern Frau gesellen. Die Hinausgejagte aber, wenn sie nicht umkommt, streift in den Wäldern und Sümpfen, lernt die Tiersprache, und wenn sie lang gestreift und gewandert ist, findet sie eines Tages ein kleines Dorf, das heißt das Hexendorf.
Dort sind alle die bösen Frauen, die man aus ihren Dörfern vertrieben hat, zusammengekommen und haben sich selber ein Dorf gemacht.
Dort leben sie, tun Böses und treiben Zauber, und namentlich locken sie, weil sie selber keine Kinder haben, gerne Kinder aus den richtigen Dörfern an sich, und wenn ein Kind sich im Walde verläuft und nie mehr wiederkommt, dann ist es vielleicht nicht im Sumpf ertrunken oder vom Wolf zerrissen, sondern von einer Hexe auf Irrwege gelockt und von ihr mit ins Hexendorf genommen worden.
Zur Zeit, als ich noch klein und meine Großmutter die Älteste im Dorf war, ist einmal ein Mädchen mit den andern in die
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Heidelbeeren gegangen, und beim Beerenpflücken wurde es müd und schlief ein; es war noch klein, die Farnkräuter bedeckten es, und die andern Kinder zogen weiter und merkten nichts, und erst als sie wieder zum Dorf zurückkamen und es schon Abend war, sahen sie, daß das Mädchen nicht mehr bei ihnen war. Man schickte die Jungburschen, die suchten und riefen nach ihr im Wald, bis es Nacht war, dann kamen sie zurück und hatten sie nicht gefunden. Die Kleine aber war, als sie genug geschlafen hatte, im Walde weiter und weiter gegangen.
Und je mehr es ihr bang wurde, desto schneller lief sie, aber sie wußte schon lange nicht mehr, wo sie war, und lief bloß immer weiter vom Dorfe weg bis dahin, wo noch niemand gewesen war. Am Halse trug sie an einem Bastfaden einen Eberzahn, ihr Vater hatte ihn ihr geschenkt, er hatte ihn von der Jagd mitgebracht, und durch den Zahn hatte er mit einem Steinsplitter
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