Das Glasperlenspiel
Kastaliens sind nicht mehr... Der Alte ruht Im Trümmerfeld, die Perlen in der Hand, Hieroglyphen, die einst viel besagten, Nun sind sie nur noch bunte gläserne Scherben.
Sie rollen lautlos aus des Hochbetagten Händen dahin, verlieren sich im Sand...
Beim Lesen in einem alten Philosophen Was gestern noch voll Reiz und Adel war, Jahrhundertfrucht erlesener Gedanken, Plötzlich erblaßt's, wird welk und Sinnes bar Wie eine Notenschrift, aus deren Ranken Man Kreuz und Schlüssel löschte; es entwich Aus einem Bau der magische Schwerpunkt; lallend Wankt auseinander und zerlüdert sich, Was Harmonie schien, ewig wirferhallend.
So kann ein altes weises Angesicht, Das liebend wir
bewundert, sich zerknittern Und todesreif sein geistig strahlend Licht In kläglich irrem Fältchenspiel verzittern.
So kann ein Hochgefühl in unsern Sinnen Sich, kaum gefühlt,
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verfratzen zu Verdruß, Als wohne längst schon die Erkenntnis innen, Daß alles faulen, welken, sterben muß.
Und über diesem eklen Leichentale Reckt dennoch
schmerzvoll, aber unverderblich, Der Geist voll Sehnsucht glühende Fana le, Bekriegt den Tod und macht sich selbst unsterblich.
Zu einer Toccata von Bach Urschweigen starrt... Es waltet Finsternis...
Da bricht ein Strahl aus zackigem Wolkenriß, Greift
Weltentiefen aus dem blinden Nichtsein, Baut Räume auf, durchwühlt mit Licht die Nacht, Läßt Grat und Gipfel ahnen, Hang und Schacht, Läßt Lüfte locker blau, läßt Erde dicht sein.
Es spaltet schöpferisch zu Tat und Krieg Der Strahl entzwei das keimend Trächtige:
Aufglänzt entzündet die erschrockne Welt.
Es wandelt sich, wohin die Lichtsaat fällt, Es ordnet sich und tönt die Prächtige Dem Leben Lob, dem Schöpfer Lichte Sieg.
Und weiter schwingt sich, gottwärts rückbezogen, Und drängt durch aller Kreatur Getriebe Dem Vater Geiste zu der große Drang.
Er wird zu Lust und Not, zu Sprache, Bild, Gesang, Wölbt Welt um Welt zu Domes Siegesbogen, Ist Trieb, ist Geist, ist Kampf und Glück, ist Liebe.
Ein Traum In einem Kloster im Gebirg zu Gast, Trat ich, da alle beten gangen waren, In einen Büchersaal. Im
Abendsohnenglast Still glänzten an der Wand mit wunderbaren Inschriften tausend pergamentene Rücken.
Voll Wißbegierde griff ich und Entzücken Ein erstes Buch zur Probe, nahm und las:
»Zur Zirkelquadratur der letzte Schritt.«
Dies Buch, so dacht ich rasch, nehm ich mir mit!
Ein andres Buch, goldlederner Quartant, Auf dessen Rücken
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klein geschrieben stand:
»Wie Adam auch vom andern Baume aß«...
Vom andern Baum? Von welchem: Dem des Lebens So ist
Adam unsterblich? Nicht vergebens, So sah ich, war ich hier, und einen Folianten Erblickt ich, der an Rücken, Schnitt und Kanten In regenbogenfarbenen Tönen strahlte.
Sein Titel lautete, der handgemalte:
»Der Farben und der Töne Sinn-Entsprechung.
Nachweis, wie jeder Färb' und Farbenbrechung Als Antwort eine Tonart zugehöre.«
O wie verheißungsvoll die Farbenchöre Mir funkelten! Und ich begann zu ahnen, Und jeder Griff nach einem Buch bewies es:
Dies war die Bücherei des Paradieses; Auf alle Fragen, die mich je bedrängten, Alle Erkenntnisdürste, die mich je versengten, War Antwort hier und jedem Hunger Brot Des Geistes aufbewahrt. Denn wo ich einen Band Mit schnellem Blick befragte, jedem stand Ein Titel angeschrieben voll Versprechen; Es war hier vorgesorgt für jede Not, Es waren alle Früchte hier zu brechen, Nach welchen je ein Schüler ahnend bangte, Nach welchen je ein Meister wagend langte.
Es war der Sinn, der innerste und reinste, Jedweder Weisheit, Dichtung, Wissenschaft, War jeder Fragestellung Zauberkraft Samt Schlüssel und Vokabular, es war die feinste Essenz des Geistes hier in unerhörten, Geheimen Meisterbüchern
aufbewahrt.
Die Schlüssel lagen hier zu jeder Art Von Frage und
Geheimnis und gehörten Dem, dem der Zauberstunde Gunst sie bot.
So legt ich denn, mir zitterten die Hände, Aufs Lesepult mir einen dieser Bände, Entzifferte die magische Bilderschrift, So, wie im Traum man oft das Niegelernte Halb spielend
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unternimmt und glücklich trifft.
Und alsbald war beschwingt ich in besternte Geisträume unterwegs, dem Tierkreis eingebaut, In welchen alles, was an Offenbarung Der Völker Ahnung bildlich je erschaut, Erbe jahrtausendalter Welterfahrung, Harmonisch sich zu immer neuen Bindungen Begegnete und eins aufs andre rückbezog, Alten Erkenntnissen, Sinnbildern, Findungen Stets neue, höhere Frage jung entflog,
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