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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Hände, ein nichtssagendes Gesicht und zwinkerte mit dem eigensinnigen und mißtrauischen Ausdruck geprügelter Tiere blöde mit den Augen. Mit einer Mistgabel bewaffnet, war er ausgezogen, weil sein ganzes Dorf aufbrach, aber er hätte nie zu sagen vermocht, was ihn nun eigentlich auf die Landstraße trieb. Seit man ihn zum Gefangenen gemacht hatte, begriff er noch weniger. Er nahm unbestimmt an, daß man ihn wieder nach Hause bringen werde. Die Verwunderung darüber, an einen anderen gefesselt zu sein, der Anblick all dieser Leute, die ihn anschauten, machten ihn noch bestürzter und stumpfer. Da er nur seine Mundart sprach und verstand, konnte er nicht dahinterkommen, was der Gendarm von ihm wollte. Er gab sich Mühe, sah mit seinem plumpen Gesicht zu ihm auf; dann sagte er in der Meinung, daß man ihn nach dem Namen seines Dorfes frage, mit rauher Stimme:
    »Ich bin aus Poujols.«
    Ein lautes Gelächter durchlief die Menge, und einige Stimmen riefen:
    »Macht den Bauern los!«
    »Nichts da«, erwiderte Rengade, »je mehr man von diesem Ungeziefer zertritt, desto besser! Da sie einmal beisammen sind, sollen sie auch zusammen abgehen.«
    Ein Gemurmel erhob sich.
    Der Gendarm mit dem fürchterlichen blutbesudelten Gesicht drehte sich um, und die Neugierigen wichen zur Seite. Ein saubergekleideter Kleinbürger wandte sich zum Gehen mit der Erklärung, wenn er länger dabliebe, verginge ihm der Appetit aufs Abendessen. Gassenjungen, die Silvère erkannt hatten, redeten von dem roten Mädchen. Da kehrte der Kleinbürger zurück, um den Liebsten der Fahnenträgerin, dieses Weibsbilds, von der in der »Gazette« die Rede gewesen war, genauer zu sehen.
    Silvère sah nichts und hörte nichts. Rengade mußte ihn beim Kragen packen. Da stand er auf und zwang so auch Mourgue, aufzustehen.
    »Los, kommt!« schrie der Gendarm. »Das geht im Handumdrehen!«
    Und Silvère erkannte den Einäugigen. Er lächelte. Er hatte wohl verstanden. Dann wandte er den Kopf weg. Der Anblick des Einäugigen, seines Schnurrbarts, der vom geronnenen Blut steif war wie von einem schrecklichen Rauhreif, erfüllte ihn mit maßloser Reue. Er hätte in unendlicher Güte sterben mögen. Er vermied es, dem einzigen Auge Rengades, das unter dem Weiß des Verbandes hervorfunkelte, mit dem Blick zu begegnen. Ganz von selber gelangte der junge Bursche in den schmalen Gang, der hinten im SaintMittreHof durch die Bretterstapel verborgen war. Mourgue ging hinterdrein.
    Trostlos lag der Hof unter dem gelben Himmel. Die Helligkeit der kupferfarbenen Wolken zog mit trübem Schein darüber hinweg. Niemals noch hatte das kahle Feld, dieser Holzplatz, auf dem die Balken wie erstarrt vor Kälte schliefen, eine so traurige, so langsame, so herzzerreißende Dämmerung erlebt. Am Rand der Straße verschmolzen die Gefangenen, die Soldaten, die Menge mit dem Dunkel der Bäume. Nur das Gelände mit seinen Bohlen und Bretterstapeln lag verblassend in dem schwindenden Licht und sah mit seinen schlammigen Farbtönen fast wie ein ausgetrocknetes Flußbett aus. Die Sägeböcke der Brettschneider, die in einer Ecke ihre Umrisse zeigten, erweckten mit ihren sparrigen Gestellen die Vorstellung von den Winkeln eines Galgens, den Pfosten einer Guillotine. Und nichts regte sich außer drei Zigeunern, die ihre erschreckten Gesichter aus der Tür ihres Wagens herausstreckten, ein alter Mann und eine alte Frau und ein großes Mädchen mit krausem Haar und funkelnden Wolfsaugen.
    Ehe Silvère den Gang erreichte, schaute er um sich. Er gedachte eines fernen Sonntags, an dem er bei schönem Mondschein den Holzplatz überquert hatte. Welch ergreifend liebliches Bild! Wie die blassen Strahlen langsam an den Bohlen entlangliefen! Vom eisigen Himmel sank ein erhabenes Schweigen. Und in diesem Schweigen sang die kraushaarige Zigeunerin mit leiser Stimme in einer unbekannten Sprache. Dann erinnerte sich Silvère, daß dieser ferne Sonntag erst acht Tage zurücklag. Vor acht Tagen war er hierhergekommen, um von Miette Abschied zu nehmen. Wie lange war das schon her! Ihm war es, als habe er seit Jahren keinen Fuß mehr auf den Holzplatz gesetzt. Doch als er in den schmalen Gang einbog, wurde ihm schwach ums Herz. Er erkannte den Duft der Gräser wieder, den Schatten der Bretterstapel, die Löcher in der Mauer. Eine klagende Stimme stieg aus dem allen auf. Traurig und leer erstreckte sich der Gang; er kam ihm länger geworden vor. Er fühlte, wie ein kalter Wind dort wehte. Der vertraute Winkel war

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