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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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beglückwünschen … Erfahren Sie also, daß unser Freund nicht nur zum Ritter der Ehrenlegion gemacht worden ist, sondern daß er außerdem zum Steuerdirektor ernannt werden wird.«
    Darauf folgte ein Ausruf der Überraschung. Man hatte nur mit einem unbedeutenden Amt gerechnet. Einige verzogen das Gesicht zu einem gezwungenen Lächeln, aber angesichts der festlichen Tafel begannen die Glückwünsche von neuem.
    Sicardot bat nochmals um Ruhe.
    »Warten Sie doch«, fuhr er fort, »ich bin noch nicht am Ende … Nur noch ein Wort … Wir dürfen hoffen, unseren Freund auch weiterhin unter uns zu behalten, dank des Ablebens von Herrn Peirotte.«
    Während die Gäste Rufe des Erstaunens laut werden ließen, verspürte Félicité einen heftigen Stich im Herzen. Sicardot hatte ihr bereits vom Tode des Steuerdirektors erzählt, aber als dieser plötzliche, schreckliche Todesfall am Beginn dieses Festessens erwähnt wurde, fühlte sie einen kalten Hauch über ihr Gesicht streichen. Sie erinnerte sich ihres Wunsches; sie selber hatte diesen Mann umgebracht. Unterdessen feierten die Gäste beim hellen Klang des Tafelsilbers das Mahl. In der Provinz ißt man viel und geräuschvoll. Schon nach dem Vorgericht redeten die Herren alle gleichzeitig; sie versetzten den Besiegten den letzten Fußtritt, warfen einander Schmeicheleien an den Kopf, machten abfällige Bemerkungen über das Wegbleiben des Marquis˜: es sei eben unmöglich, mit dem Adel zu verkehren. Roudier ließ schließlich sogar durchblicken, der Marquis habe sich entschuldigen lassen, weil er aus Angst vor den Aufständischen an Gelbsucht erkrankt sei. Beim zweiten Gang ging es zu wie bei der Verteilung der Jagdbeute. Die Ölhändler und die Mandelhändler hatten Frankreich gerettet. Man stieß auf den Ruhm des Hauses Rougon an. Granoux war hochrot und begann zu stottern, und Vuillet war kreideweiß und völlig betrunken; aber Sicardot goß unaufhörlich ein, während sich Angèle, die bereits zuviel gegessen hatte, Zuckerwasser bereitete. Die Freude, gerettet zu sein, nicht mehr zittern zu müssen, sich im gelben Salon um einen reichbestellten Tisch vereint wiederzufinden, im hellen Licht der beiden Kandelaber und des Kronleuchters, den man zum erstenmal ohne seine mit schwarzem Fliegenschmutz übersäte Hülle sah, das alles ließ die Albernheit dieser Herren aufblühen und verschaffte ihnen eine Fülle breiten und schwerfälligen Behagens. Ihre Stimmen klangen fett durch die heiße Luft, wurden bei jedem neuen Gang immer lobtriefender, verhaspelten sich in den Komplimenten, und man verstieg sich so weit – es war ein ehemaliger Gerbermeister, dem das hübsche Wort einfiel –, das Diner ein »wahres Lucullusmahl«65 zu nennen.
    Pierre strahlte. Sein volles, blasses Gesicht schwitzte vor Siegesfreude. Félicité erklärte abgebrüht, sie würden wahrscheinlich zunächst die Wohnung des armen Herrn Peirotte mieten, bis sie ein kleines Haus in der Neustadt kaufen könnten, und verteilte schon ihr künftiges Mobiliar in den Räumen des Steuerdirektors. Sie hielt Einzug in ihre Tuilerien. In einem Augenblick, in dem der Stimmenlärm ohrenbetäubend wurde, schien ihr plötzlich etwas einzufallen; sie stand auf, ging zu Aristide, neigte sich zu seinem Ohr und fragte:
    »Und Silvère?«
    Der junge Mann, der nicht auf diese Frage gefaßt war, zuckte zusammen.
    »Er ist tot«, antwortete er flüsternd. »Ich war dabei, als ihm der Gendarm mit einem Pistolenschuß den Schädel zertrümmerte.«
    Jetzt zuckte auch Félicité leicht zusammen. Sie öffnete den Mund, um zu fragen, warum ihr Sohn diesen Mord nicht verhindert und nicht die Freilassung des Jungen gefordert habe. Aber sie sagte nichts, blieb nur bestürzt stehen.
    Aristide, der ihr die Frage von den zitternden Lippen abgelesen hatte, murmelte:
    »Verstehen Sie, ich habe nichts gesagt … Schlimm für ihn! Aber ich habe gut daran getan. Eine bequeme Art, ihn loszuwerden!«
    Diese brutale Offenheit mißfiel Félicité. Aristide hatte nun auch eine Leiche auf dem Gewissen, wie sein Vater, wie seine Mutter. Sicherlich würde er nicht mit solcher Unverfrorenheit zugegeben haben, daß er in der Vorstadt herumgelungert und zugelassen hatte, daß man seinem Vetter den Schädel zerschmetterte, wenn die Weine des Hotels de Provence und die Zukunftsträume über seine bevorstehende Ankunft in Paris ihn nicht aus seiner üblichen Duckmäuserei herausgelockt hätten. Nachdem ihm der Satz entfahren war, schaukelte er sich auf

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