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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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heißer Atem sie an den Juliabenden so seltsam erregt hatte, ihn und seine Liebste. Er erkannte ihr leises Gemurmel genau. Sie waren froh, sie luden ihn ein, zu kommen. Sie versprachen, ihm unter der Erde Miette wiederzugeben, in einem Versteck, das noch verborgener war als das Ende dieses Pfades. Der Friedhof, der den Herzen der Kinder durch seine satten Düfte, seine dunkelfarbene Pflanzenwelt herbes Verlangen zugeraunt, der ihnen so bereitwillig sein Bett aus wilden Kräutern hingebreitet hatte, ohne daß es ihm gelungen wäre, sie einander in die Arme zu treiben, träumte in diesem Augenblick davon, das heiße Blut Silvères zu trinken. Seit zwei Sommern schon wartete er auf die jungen Gatten.
    »Soll es hier sein?« fragte der Einäugige.
    Der junge Bursche schaute vor sich hin. Er war am Ende des Ganges angekommen. Er erblickte den Grabstein und zuckte zusammen. Miette hatte recht gehabt, dieser Stein war für sie. »Hier ruht … Marie … gestorben …« Sie war tot, der Block war über sie gewälzt worden. Da wankte er und stützte sich auf den eisigen Stein. Wie war er doch einst warm gewesen, als sie, auf einer seiner Ecken sitzend, lange Abende hindurch miteinander plauderten! Von dorther pflegte sie zu kommen; eine Stelle des Grabsteins hatte sie abgewetzt, dort, wo immer ihre Füße auftraten, wenn sie von der Mauer sprang. Ein wenig von ihr, von ihrem biegsamen Körper, dauerte in dieser Spur. Und er dachte, daß dies alles schicksalhaft sei und daß dieser Stein gerade an dieser Stelle liege, damit er hier sterben dürfe, wo er geliebt hatte.
    Der Einäugige lud seine Pistolen.
    Sterben, sterben! Dieser Gedanke machte Silvère glücklich. Hierher also hatte man ihn auf der langen, weißen Straße gebracht, die von SainteRoure nach Plassans hinabführt. Hätte er das gewußt, so würde er sich mehr beeilt haben. Auf diesem Stein sterben, sterben am Ende dieses schmalen Ganges, in dieser Luft, wo er noch den Atem von Miette zu fühlen meinte – niemals hätte er einen solchen Trost in seinem Schmerz erhofft! Der Himmel war gütig. – Er wartete mit einem verlorenen Lächeln.
    Unterdessen hatte Mourgue die Pistolen gesehen. Bis dahin hatte er sich stumpf vorwärts ziehen lassen. Aber jetzt ergriff ihn Entsetzen. Mit verzweifelter Stimme wiederholte er:
    »Ich bin aus Poujols, ich bin aus Poujols!« Er warf sich zu Boden, er wälzte sich flehend zu Füßen des Gendarmen und glaubte gewiß, daß man ihn mit einem andern verwechselt habe.
    »Was geht es mich an, daß du aus Poujols bist?« brummte Rengade.
    Und als nun der Unglückliche, schlotternd und weinend vor Angst, ohne zu begreifen, warum er sterben sollte, seine zitternden Hände ausstreckte, seine armen, verunstalteten, schwieligen Arbeitshände, und in seiner Mundart beteuerte, daß er nichts verbrochen habe, daß man ihm verzeihen müsse, wurde der Einäugige ungeduldig, weil er jenem, solange er sich so heftig bewegte, nicht die Mündung der Pistole an die Schläfe drücken konnte.
    »Wirst du das Maul halten!« brüllte er.
    Da stieß Mourgue, irr vor Furcht und weil er nicht sterben wollte, ein tierisches Geheul aus, wie ein Schwein, das geschlachtet wird.
    »Wirst du das Maul halten, Halunke?« wiederholte der Gendarm.
    Und er zerschmetterte ihm den Schädel.
    Der Bauer rollte beiseite wie ein Sack. Sein Leichnam prallte gegen den Fuß eines Bretterstapels und blieb dort völlig zusammengeknickt liegen. Die Heftigkeit des Sturzes hatte den Strick zerrissen, der ihn an seinen Gefährten gefesselt hatte.
    Silvère sank vor dem Grabstein in die Knie.
    Rengade hatte seine Rache dadurch noch grausamer gemacht, daß er zuerst Mourgue tötete. Er spielte mit seiner zweiten Pistole, hob sie langsam, um sich an Silvères Todesqual zu weiden.
    Dieser sah ihn an; er war ganz ruhig. Der Anblick des Einäugigen, dessen wild funkeln des Auge ihn zu verbrennen schien, quälte ihn. Er wandte den Blick ab, aus Angst, feige zu sterben, wenn er diesen vor Fieber zitternden Menschen mit dem besudelten Verband und dem blutigen Schnurrbart noch länger ansähe. Doch als er aufblickte, gewahrte er den Kopf Justins über der Mauer, genau an der Stelle, wo Miette herabzuspringen pflegte.
    Justin war unter der Volksmenge an der Porte de Rome gewesen, als der Gendarm die beiden Gefangenen abführte. Er war gelaufen, was er konnte, und hatte seinen Weg durch den JasMeiffren genommen, um das Schauspiel der Erschießung nicht zu versäumen. Der Gedanke, daß einzig er

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