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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Kleidung für ihn zu kaufen. Er trug seine Lumpen zur Schau und führte sie sonntags mitten auf dem Cours Sauvaire vor.
    Eine seiner köstlichsten Freuden bestand darin, zehnmal am Tag am Laden seines Bruders Pierre vorbeizugehen. Er bohrte mit den Fingern in den Löchern seiner Weste, er verlangsamte seine Schritte, fing manchmal genau vor der Tür mit jemandem zu schwatzen an, um sich noch länger in dieser Straße aufzuhalten. An solchen Tagen nahm er irgendeinen Trunkenbold aus seinem Freundeskreis mit, der ihm als Helfer diente; dem erzählte er mit schallender Stimme den Betrug mit den fünfzigtausend Francs und begleitete seinen Bericht mit Flüchen und Drohungen, so daß die ganze Straße ihn hörte und seine groben Worte vor allem zu denen hinten im Laden dringen konnten, für die sie bestimmt waren.
    »Schließlich wird er noch vor unserm Hause betteln«, klagte Félicité verzweifelt.
    Die eitle kleine Frau litt schrecklich unter diesem Skandal. Damals bedauerte sie sogar zuweilen im geheimen, Rougon geheiratet zu haben; er hatte doch eine gar zu fürchterliche Familie. Alles in der Welt würde sie darum gegeben haben, wenn Antoine aufgehört hätte, seine Fetzen spazierenzutragen. Pierre jedoch, den das Verhalten des Bruders fast verrückt machte, duldete nicht einmal, daß dessen Name vor ihm genannt wurde. Wenn ihm seine Frau zu verstehen gab, daß es vielleicht klüger wäre, sich Antoines dadurch zu entledigen, daß man ihm etwas Geld gäbe, schrie er wütend: »Nein, nichts, nicht einmal einen Viertelsou. Mag er verrecken!«
    Allerdings gab er schließlich selbst zu, daß Antoines Benehmen unerträglich wurde. Eines Tages wollte Félicité Schluß machen und rief »diesen Menschen«, wie sie ihn mit verächtlich gekräuselten Lippen zu bezeichnen pflegte, herein. »Dieser Mensch« war gerade im Begriff, sie im Verein mit einem noch zerlumpteren Gefährten auf offener Straße als Spitzbübin auszuschreien. Alle beide waren angetrunken.
    »Komm doch, man ruft uns da drinnen«, sagte Antoine in spöttischem Ton zu seinem Kumpan.
    Félicité wich zurück und murmelte:
    »Wir wollten mit Ihnen allein reden.«
    »Ach was«, antwortete der junge Mann, »der Kumpel ist ein guter Kerl. Er kann ruhig mit zuhören. Er ist mein Zeuge.«
    Der Zeuge setzte sich schwerfällig auf einen Stuhl. Er nahm den Hut nicht ab und begann umherzusehen mit dem stumpfsinnigen Lächeln von Trunkenbolden und groben Kerlen, die sich ihrer Unverschämtheit bewußt sind. Félicité schämte sich und stellte sich gegen die Ladentür, damit man nicht von draußen sah, welch sonderbare Gäste sie empfing. Glücklicherweise kam ihr Mann ihr zu Hilfe. Ein heftiger Streit entbrannte zwischen ihm und dem Bruder. Antoine, dessen schwere Zunge bei den Schimpfworten ins Stolpern kam, wiederholte mehr als zwanzigmal die gleichen Vorwürfe. Zuletzt begann er sogar zu weinen, und es fehlte wenig daran, daß seine Rührseligkeit auch den Kumpel ergriffen hätte. Pierre hatte sich in sehr würdiger Form verteidigt.
    »Sehen Sie«, sagte er schließlich, »Sie sind unglücklich, und Sie tun mir leid. Obschon Sie mich grausam beleidigt haben, will ich nicht vergessen, daß wir von derselben Mutter stammen. Aber wenn ich Ihnen jetzt etwas gebe, dann müssen Sie wissen, daß ich es aus Güte und nicht aus Angst tue … Wollen Sie hundert Francs, um aus dem Gröbsten herauszukommen?«
    Dieses plötzliche Angebot von hundert Francs verblüffte Antoines Kumpel. Er sah ihn mit einer hocherfreuten Miene an, die deutlich besagte: Wenn dieser Bourgeois dir hundert Francs bietet, darfst du ihm keine Grobheiten mehr sagen!
    Doch Antoine gedachte die guten Vorsätze seines Bruders auszunutzen. Er fragte Pierre, ob er sich über ihn lustig machen wolle; er verlange den ihm zustehenden Anteil, zehntausend Francs.
    »Das ist nicht recht, das ist nicht recht«, lallte sein Freund.
    Erst als Pierre ungeduldig wurde und drohte, sie alle beide hinauszuwerfen, setzte Antoine plötzlich seine Forderung auf tausend Francs herunter. Sie stritten sich noch eine gute Viertelstunde lang über die Summe. Félicité suchte zu vermitteln. Vor dem Laden begannen sich schon Leute anzusammeln.
    »Hören Sie«, sagte sie lebhaft, »mein Mann wird Ihnen zweihundert Francs geben, und ich verpflichte mich, Ihnen einen vollständigen Anzug zu kaufen und Ihnen für ein Jahr eine Wohnung zu mieten.«
    Rougon wurde ärgerlich.
    Aber Antoines Kumpel rief begeistert:
    »Abgemacht! Mein

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