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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nicht wußte, an wem er sich rächen sollte, wiederholte er seine tags zuvor ausgesprochenen Beschuldigungen; er hielt die Unglückliche, die vor Scham und Schrecken nur so zitterte, bis Mitternacht fest. Da Adélaïde ihm erzählt hatte, daß ihr Pierre eine Rente gewähre, war Antoine schließlich überzeugt, daß sein Bruder die fünfzigtausend Francs eingesteckt hatte. Trotzdem tat er in seiner Gereiztheit, aus einer ausgesuchten Boshaftigkeit heraus, die ihm Erleichterung verschaffte, als hege er immer noch Zweifel. Er ließ nicht ab, argwöhnische Fragen zu stellen, und schien noch immer anzunehmen, sie habe sein Erbteil mit Liebhabern durchgebracht.
    »Geh mir doch! Mein Vater wird nicht der einzige gewesen sein!« sagte er schließlich roh.
    Bei diesem letzten Schlag sank Adélaïde taumelnd auf eine alte Truhe, wo sie schluchzend die ganze Nacht verbrachte.
    Antoine sah bald ein, daß er ganz allein und ohne Mittel den Kampf gegen seinen Bruder nicht erfolgreich aufnehmen könnte. Zunächst versuchte er, Adélaïde für seine Sache zu gewinnen; eine von ihr erhobene Anklage mußte schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Aber die arme, so schlaffe und geistesabwesende Frau weigerte sich von Antoines erstem Wort an nachdrücklich, ihren ältesten Sohn zu behelligen.
    »Ich bin eine unglückliche Frau«, stammelte sie. »Du hast ganz recht mit deinem Zorn. Aber, siehst du, ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich eines meiner Kinder ins Gefängnis brächte. Nein, lieber magst du mich schlagen.«
    Er merkte, daß außer Tränen nichts aus ihr herauszubekommen war, und begnügte sich hinzuzufügen, sie erleide eine gerechte Strafe, und er habe nicht das geringste Mitleid mit ihr. Am Abend bekam Adélaïde, erschöpft von dem fortwährenden Streit, den ihr Sohn immer wieder begann, einen jener Nervenanfälle, nach denen sie ganz und gar steif, mit offenen Augen, wie eine Tote dalag. Der junge Mann warf sie auf ihr Bett; er nahm sich nicht einmal die Mühe, ihr die Kleider zu öffnen, sondern begann im Haus herumzuschnüffeln, ob die Unglückliche nicht irgendwo Ersparnisse versteckt habe. Er fand etwa vierzig Francs. Er nahm sie an sich, und während seine Mutter regungslos und fast ohne Atem dalag, stieg er seelenruhig in den Postwagen nach Marseille.
    Es war ihm gerade der Gedanke gekommen, daß Mouret, jener Hutmachergeselle, der seine Schwester Ursule geheiratet hatte, über Pierres Betrügereien empört sein und zweifellos die Interessen seiner Frau wahrnehmen würde. Doch fand er nicht den Mann, den er brauchte. Mouret sagte ihm geradeheraus, er habe sich daran gewöhnt, Ursule als eine Waise zu betrachten, und wolle um keinen Preis Händel mit ihrer Familie haben. Dem Ehepaar ging es gut. Antoine, der sehr kühl aufgenommen worden war, beeilte sich, seinen Postwagen wieder zu besteigen. Aber vor seiner Abfahrt wollte er sich noch für die geheime Verachtung rächen, die er in den Blicken des Arbeiters gelesen hatte; da ihm seine Schwester blaß und gedrückt vorgekommen war, besaß er die tückische Grausamkeit, dem Mann beim Abschied zu sagen: »Geben Sie gut acht, meine Schwester ist immer kränklich gewesen, und ich finde sie recht verändert. Sie könnten sie verlieren.«
    Die Tränen, die Mouret in die Augen stiegen, bewiesen ihm, daß er den Finger auf eine offene Wunde gelegt hatte. Diese Arbeiterfamilie trug ihr Glück aber auch allzusehr zur Schau.
    Als Antoine mit der Gewißheit nach Plassans zurückkehrte, daß ihm die Hände gebunden waren, wurde er noch bösartiger. Während eines Monats war er überall in der Stadt zu sehen. Er lief durch alle Straßen und erzählte seine Geschichte jedem, der sie hören wollte. Jedesmal, wenn er ein Zwanzigsousstück von seiner Mutter erbettelt hatte, vertrank er es in einer Wirtschaft und schrie dort ganz laut, sein Bruder sei ein Schurke, der bald von ihm hören werde. An solchen Orten verschaffte ihm die selige Brüderschaft, die alle Trunkenbolde miteinander verbindet, eine geneigte Zuhörerschaft; das ganze Gesindel der Stadt nahm sich seiner Angelegenheit an. Es gab ein endloses Geschimpfe gegen diesen Lumpen Rougon, der einen braven Soldaten Hunger leiden ließ, und die Sitzung schloß meist mit der Verdammung aller Reichen in Bausch und Bogen. Um sich recht boshaft an seiner Familie zu rächen, ging Antoine immer noch in seinem Käppi, seiner Militärhose und der alten gelben Samtweste spazieren, obwohl ihm seine Mutter angeboten hatte, anständigere

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