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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Die seltsamen Verteidiger von Plassans, die sich versteckten, um die Stadt besser zu verteidigen, hatten es alle eilig, sich in irgendein Loch zu verkriechen. Mit seiner Frau allein geblieben, riet Pierre ihr, sich ja nicht zu verrammeln, sondern, falls man nach ihm frage, zu antworten, er sei für kurze Zeit verreist. Und als sie sich einfältig stellte, Angst heuchelte und ihn fragte, was aus alledem werden solle, sagte er barsch: »Das geht dich nichts an. Überlasse mir nur allein unsere Angelegenheiten. Dann wird alles besser gehen.«
    Wenige Minuten später lief er im Eilschritt die Rue de la Banne entlang. Als er am Cours Sauvaire anlangte, sah er aus der Altstadt einen Trupp bewaffneter Arbeiter kommen, die die Marseillaise sangen.
    Zum Teufel auch, dachte er, es war höchste Zeit. Jetzt steht auch die Stadt auf.
    Er beschleunigte seine Schritte und wandte sich zur Porte de Rome. Hier brach ihm der kalte Schweiß aus bei der Langsamkeit, mit welcher ihm der Pförtner das Stadttor aufschloß. Kaum hatte er den Fuß auf die Straße gesetzt, als er im Mondschein am anderen Ende der Vorstadt die Kolonne der Aufständischen sah, deren Flinten kleine weiße Flammen sprühten. In vollem Lauf erreichte er die SaintMittreSackgasse und das Haus seiner Mutter, das er seit vielen Jahren nicht betreten hatte.

Kapitel IV
    Antoine Macquart kehrte nach dem Sturz Napoleons nach Plassans zurück. Er hatte das unglaubliche Glück gehabt, keinen der letzten, mörderischen Feldzüge des Kaiserreichs mitzumachen. Er war von einem Depot zum andern gezogen, ohne daß ihn irgend etwas aus seinem stumpfsinnigen Soldatenleben befreit hätte. Dieses Dasein brachte seine schlechten Anlagen vollends zur Entfaltung. Seine Faulheit empfand er als berechtigt; seine Trunksucht, die ihm eine unvorstellbare Zahl von Strafen eintrug, wurde in seinen Augen von jetzt ab geradezu zur Religion. Was ihn aber vor allem zum schlimmsten Taugenichts machte, war seine hochmütige Verachtung für all die armen Teufel, die morgens das Brot verdienen mußten, das sie am Abend verzehrten.
    »Ich habe Geld zu Hause«, sagte er oft zu seinen Kameraden. »Wenn ich meine Zeit abgemacht habe, kann ich behaglich leben.«
    Diese Zuversicht und seine krasse Unwissenheit waren schuld daran, daß er es nicht einmal zum Korporal brachte.
    Seit er von Hause fort war, hatte er keinen einzigen Urlaubstag in Plassans zugebracht, denn sein Bruder erfand tausend Vorwände, um ihn fernzuhalten. So wußte er nicht das geringste davon, wie geschickt Pierre sich des Vermögens ihrer Mutter bemächtigt hatte. Adélaïde hatte ihm in ihrer tiefen Gleichgültigkeit kaum dreimal geschrieben, und nur, um ihm zu sagen, daß sie gesund sei. Das Stillschweigen, mit dem man meistens seine zahlreichen Geldforderungen beantwortete, erweckte keinerlei Verdacht bei ihm: aus Pierres Knauserigkeit konnte er sich zur Genüge erklären, warum er nur so schwer und so selten ein elendes Zwanzigfrancsstück zu ergattern vermochte. Das vermehrte übrigens nur seinen Groll gegen den Bruder, der ihn im Dienst unnütz seine Zeit verlieren ließ, trotz des feierlichen Versprechens, ihn loszukaufen. Er schwor sich, sobald er wieder zu Hause wäre, nicht mehr wie ein kleiner Junge zu gehorchen, sondern ohne Umschweife sein Erbteil zu verlangen, um nach seinem Geschmack leben zu können. Während ihn der Postwagen heimwärts trug, malte er sich ein köstliches Faulenzerdasein aus. Der Einsturz seiner Luftschlösser war schrecklich. Als er in der Vorstadt ankam und das Anwesen der Fouques nicht mehr wiedererkannte, stand er wie erstarrt. Er mußte die neue Adresse seiner Mutter erfragen. Bei ihr gab es einen entsetzlichen Auftritt. Adélaïde teilte ihm ruhig den Verkauf des Grundstücks mit. Er geriet so außer sich, daß er die Hand gegen sie erhob.
    Die arme Frau wiederholte immerzu: »Dein Bruder hat alles genommen; er wird für dich sorgen, das ist ausgemacht.«
    Schließlich ging er fort und lief zu Pierre, den er von seiner Rückkehr verständigt hatte. Dieser war also darauf vorbereitet und hatte beschlossen, beim ersten groben Wort mit dem Bruder Schluß zu machen.
    »Hören Sie«, sagte der Ölhändler, der es zweckmäßig fand, ihn nicht mehr zu duzen, »machen Sie mir nicht den Kopf heiß, sonst werfe ich Sie hinaus. Letzten Endes sind Sie ein Fremder für mich. Wir tragen nicht denselben Namen. Es ist schon schlimm genug für mich, daß sich meine Mutter schlecht aufgeführt hat; ihre Bankerte

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