Das Glück der Familie Rougon - 1
heimgezahlt. Am nächsten Morgen machte sie sich wieder tapfer an die Arbeit, als sei nichts vorgefallen. Doch ihr Mann, von dumpfem Groll erfüllt, stand spät auf und saß den restlichen Tag über Pfeife rauchend in der Sonne.
Von diesem Augenblick an begann jene Lebensweise der Macquarts, die sie weiterhin beibehalten sollten. Es schien ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen zu bestehen, daß die Frau Blut und Wasser schwitzen müsse, um den Mann zu unterhalten. Fine, die die Arbeit von Natur aus liebte, erhob keine Einwendungen. Solange sie nicht getrunken hatte, war sie von einer wahren Engelsgeduld, fand es ganz selbstverständlich, daß ihr Mann faul war, und versuchte, ihm auch noch die kleinsten Arbeiten zu ersparen. Ihre Lieblingssünde, der Anislikör, machte sie nicht böse, sondern gerecht. An den Abenden, an denen sie sich vor einer Flasche ihres Lieblingsgetränks vergessen hatte, fiel sie mit kräftigen Hieben über Antoine her, sobald er Streit mit ihr anfangen wollte, und warf ihm seine Faulheit und seine Undankbarkeit vor. Die Nachbarn waren an den in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Lärm in der Stube der Eheleute gewöhnt. Die beiden prügelten einander mit großer Gewissenhaftigkeit halbtot. Die Frau schlug wie eine Mutter, die ihren Sprößling straft, der Mann aber, hinterhältig und gehässig, berechnete seine Hiebe und hätte mehrmals die Unglückliche beinahe zum Krüppel geschlagen.
»Du wirst dir was Schönes einbrocken, wenn du mir einen Arm oder ein Bein brichst«, sagte sie zu ihm. »Wer wird dich Faulpelz ernähren?«
Abgesehen von diesen heftigen Auftritten fand Antoine seine neue Lebenslage nach und nach ganz erträglich. Er war anständig gekleidet, konnte so viel essen und trinken, wie er wollte. Das Korbmacherhandwerk hatte er endgültig an den Nagel gehängt; manchmal, wenn ihn die Langeweile gar zu sehr plagte, nahm er sich vor, für den nächsten Markttag ein Dutzend Körbe zu flechten, machte aber oft nicht einmal den ersten fertig. Unter einem Sofa hatte er ein Büschel Weidenruten liegen, das er in zwanzig Jahren nicht aufbrauchte.
Die Macquarts hatten drei Kinder, zwei Mädchen und einen Jungen.
Lisa, die Älteste, 1827, ein Jahr nach der Heirat, geboren, blieb nicht lange zu Hause. Sie war ein kräftiges, schönes Kind, sehr gesund und vollblütig und glich weitgehend der Mutter, ohne jedoch deren Lasttiergeduld zu besitzen. Macquart hatte ihr ein sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach Wohlleben vererbt. Schon als kleines Kind war sie bereit, einen ganzen Tag für ein Stück Kuchen zu arbeiten. Sie war noch nicht sieben Jahre alt, als die Postvorstehersfrau, eine Nachbarin, Zuneigung zu ihr faßte und ein kleines Dienstmädchen aus ihr machte. Als die Frau im Jahre 1839 ihren Mann verlor und sich nach Paris zurückzog, nahm sie Lisa mit. Die Eltern hatten sie ihr gewissermaßen geschenkt.
Die zweite Tochter, Gervaise, die im folgenden Jahr geboren wurde, war mit einem Beinschaden auf die Welt gekommen. Sie war in der Trunkenheit empfangen worden, wahrscheinlich in einer jener schmachvollen Nächte, in denen sich die Eheleute halbtot prügelten; ihr rechter Oberschenkel war verkrümmt und ganz mager, eine sonderbare ererbte Spiegelung der Mißhandlungen, die ihre Mutter in einer Stunde des Streits und wilder Sauferei hatte erdulden müssen. Gervaise blieb kränklich, und als Fine sie so blaß und schwach aufwachsen sah, verordnete sie ihr Anislikör unter dem Vorwand, daß man das Kind zu Kräften bringen müsse. Das arme Geschöpf wurde davon nur noch dünner. Sie war ein großes, schmächtiges Mädchen, dessen Kleider stets zu weit waren und wie leer um sie herumflatterten. Auf ihrem abgezehrten, verunstalteten Körper saß ein reizendes Puppenköpfchen mit einem runden und bleichen Gesicht von außerordentlicher Feinheit. Ihr Gebrechen verlieh ihr beinahe eine gewisse Anmut; bei jedem Schritt bog sich ihr Körper sanft in rhythmisch wiegender Bewegung.
Der Sohn der Macquarts, Jean, wurde drei Jahre später geboren. Er war ein kräftiger Bursche, der in nichts an Gervaises Magerkeit erinnerte. Wie die älteste Tochter geriet er nach der Mutter, sah ihr aber äußerlich nicht ähnlich. Als erster von den Rougon Macquarts hatte er ein Gesicht mit regelmäßigen Zügen, das volle und unbelebte Gesicht eines ernsten und wenig gescheiten Menschen. Dieser Junge wuchs mit dem zähen Willen auf, sich eines Tages eine unabhängige Stellung zu schaffen. Er
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