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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Kommandant mit großer Mühe erst etwa zwanzig Nationalgardisten zusammengebracht. Nicht einmal die Gendarmen konnten benachrichtigt werden, obwohl deren Unterkunft ganz in der Nähe lag. Man mußte schleunigst die Tür schließen, um zu beratschlagen. Fünf Minuten später verkündete ein dumpfes, anhaltendes Rollen das Nahen der Kolonne.
    Herr Garçonnet, der die Republik haßte, wünschte lebhaft, sich zu verteidigen. Er war jedoch ein vorsichtiger Mann, der die Aussichtslosigkeit des Kampfes einsah, da sich ja nur ein paar blasse und noch kaum ganz erwachte Leute bei ihm befanden. Die Beratung dauerte nicht lange. Nur Sicardot versteifte sich, er wollte unbedingt kämpfen. Er behauptete, zwanzig Mann seien ausreichend, um diese dreitausend Lumpen zur Vernunft zu bringen. Herr Garçonnet zuckte die Achseln und erklärte, daß nichts anderes übrigbleibe, als sich auf ehrenhafte Weise zu ergeben. Als das Getöse der Menge zunahm, ging er auf den Balkon, wohin ihm alle Anwesenden folgten. Nach und nach wurde es still. Unten glänzten in der dunklen, fröstelnden Masse der Aufständischen die Flinten und die Sensen im Mondlicht.
    »Wer seid ihr, und was wollt ihr?« rief der Bürgermeister mit lauter Stimme.
    Da trat ein Mann im Überrock vor, ein Grundbesitzer aus La Palud.
    »Öffnen Sie die Tür!« sagte er, ohne auf die Fragen des Herrn Garçonnet zu antworten. »Vermeiden Sie einen Bruderkampf!«
    »Ich fordere Sie auf, sich zurückzuziehen«, erwiderte der Bürgermeister. »Ich protestiere im Namen des Gesetzes!«
    Diese Worte riefen in der Menge ein ohrenbetäubendes Geschrei hervor. Als sich der Tumult ein wenig gelegt hatte, klangen heftige Rufe zum Balkon empor. Etliche Stimmen schrien:
    »Wir sind selber im Namen des Gesetzes gekommen!«
    »Ihre Pflicht als Beamter befiehlt Ihnen, das Grundgesetz des Landes, die Verfassung, zu respektieren, die soeben schändlich vergewaltigt worden ist!«
    »Es lebe die Verfassung! Es lebe die Republik!«
    Während sich Herr Garçonnet Gehör zu verschaffen suchte und sich weiterhin auf seine Eigenschaft als Beamter berief, unterbrach ihn der Grundbesitzer aus La Palud, der unter dem Balkon stehengeblieben war, mit großem Nachdruck.
    »Sie sind nur noch«, erklärte er, »der Beamte eines abgesetzten Beamten. Wir kommen, um Sie Ihres Amtes zu entheben.«
    Bis dahin hatte der Kommandant Sicardot heftig auf seinen Schnurrbart gebissen und dumpfe Beschimpfungen geknurrt. Der Anblick der Knüppel und Sensen brachte ihn außer sich; es kostete ihn eine unerhörte Anstrengung, diese Soldaten, die keine richtigen waren und von denen nicht einmal jeder ein Gewehr besaß, nicht so zu behandeln, wie sie es verdienten. Doch als er hörte, wie ein Mann im einfachen Überrock davon sprach, einen Bürgermeister, der die Schärpe, das Zeichen seiner Würde, trug, abzusetzen, vermochte er nicht länger zu schweigen und schrie: »Ihr Lumpenpack! Hätte ich nur vier Mann und einen Korporal, so würde ich hinunterkommen und euch den Kopf zurechtsetzen, um euch wieder Respekt beizubringen!«
    Es hätte nicht einmal soviel gebraucht, um einen sehr ernsten Zwischenfall herbeizuführen. Ein lang anhaltender Schrei lief durch die Menge, die sich auf die Türen des Rathauses zu wälzte. Herr Garçonnet beeilte sich, in seiner Bestürzung den Balkon zu verlassen. Er flehte Herrn Sicardot an, er möge doch Vernunft annehmen, wenn er nicht wolle, daß sie alle umgebracht würden. Innerhalb von zwei Minuten gaben die Türen nach, das Volk drang in das Rathaus und entwaffnete die Nationalgardisten. Der Bürgermeister und die übrigen anwesenden Beamten wurden festgenommen. Sicardot, der seinen Degen nicht abgeben wollte, mußte der Anführer des Kontingents aus Les Tulettes, ein besonnener Mann, vor der Wut einiger Aufständischer beschützen. Nachdem das Rathaus von den Republikanern besetzt war, führte man die Gefangenen in ein kleines Café am Markt, wo man sie unter den Augen behielt.
    Die Armee der Aufständischen hätte Plassans nicht berührt, wenn die Anführer nicht etwas Verpflegung und einige Stunden der Ruhe für unbedingt nötig für ihre Leute gehalten hätten. Statt geradeswegs zur Hauptstadt des Departements zu marschieren, hatte die Kolonne, dank der Unerfahrenheit und unentschuldbaren Schwäche des unversehens zum General gewordenen Mannes, der sie kommandierte, eine Schwenkung nach links gemacht. Dieser große Umweg sollte sie ins Verderben führen. Ihr Ziel war das Hochland von

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