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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Wahrheit gesagt«, antwortete sie ungeduldig. »Ich kann Ihnen doch meinen Mann nicht ausliefern, wenn er gar nicht hier ist. Sie haben überall nachgesehen, nicht wahr? Lassen Sie mich jetzt in Ruhe!«
    Macquart, durch ihre Kaltblütigkeit gereizt, hätte sie bestimmt geschlagen, wäre nicht gerade ein dumpfer Lärm von der Straße heraufgedrungen. Es war die Kolonne der Aufständischen, die in die Rue de la Banne einbog.
    Er mußte den gelben Salon verlassen, schüttelte die Faust gegen seine Schwägerin, nannte sie »alte Gaunerin« und drohte, bald wiederzukommen. Unten an der Treppe zog er einen seiner Begleiter beiseite, einen Erdarbeiter namens Cassoute, den schwerfälligsten der vier, und befahl ihm, sich auf die unterste Stufe zu setzen und sich bis auf weiteres nicht von der Stelle zu rühren.
    »Wenn der Halunke, der da oben wohnt, nach Hause kommt, wirst du mich benachrichtigen«, gebot er ihm.
    Der Mann setzte sich gewichtig nieder. Als Macquart vom Bürgersteig hinaufschaute, sah er, wie sich Félicité mit den Ellbogen auf eine Fensterbrüstung des gelben Salons stützte und neugierig den Vorbeimarsch der Aufständischen betrachtete, als handelte es sich um ein Regiment, das mit der Musik an der Spitze durch die Stadt zog. Dieser letzte Beweis vollkommener Seelenruhe ärgerte ihn so sehr, daß er am liebsten wieder hinaufgegangen wäre, um die alte Frau auf die Straße zu werfen. Er schloß sich der Kolonne an und murmelte dumpf: »Jaja, guck nur, wie wir vorbeimarschieren! Wir werden schon sehen, ob du dich morgen noch auf deinen Balkon stellst.«
    Es war beinahe elf Uhr nachts, als die Aufständischen durch die Porte de Rome in die Stadt einzogen. Die Arbeiter, die in Plassans zurückgeblieben waren, hatten ihnen das zweiflügelige Tor weit geöffnet, trotz des Gejammers des Pförtners, dem man die Schlüssel nur mit Gewalt entriß. Dieser Mann, der seine Amtspflichten sehr genau nahm, stand wie gelähmt einer derartigen Menschenflut gegenüber, er, der immer nur eine einzige Person auf einmal einzulassen pflegte, nachdem er ihr zuvor lange ins Gesicht gesehen hatte. Jetzt murrte er, er sei entehrt. An der Spitze der Kolonne marschierten noch immer die Leute aus Plassans und führten die anderen. Miette, die, Silvère zu ihrer Linken, in der ersten Reihe ging, hob die Fahne kecker, seit sie hinter den geschlossenen Fensterläden die verstörten Blicke der aus ihren Betten aufgeschreckten Bürger fühlte. Die Aufständischen zogen vorsichtig und langsam durch die Rue de Rome und die Rue de la Banne. An jeder Kreuzung fürchteten sie, mit Gewehrschüssen empfangen zu werden, obschon sie die ruhige Art der Einwohner kannten. Doch die Stadt schien wie ausgestorben; kaum hörte man einmal aus den Fenstern unterdrückte Ausrufe. Nur fünf oder sechs Fensterläden öffneten sich, irgendein alter Rentier zeigte sich, im Nachthemd, die Kerze in der Hand, und beugte sich vor, um besser sehen zu können; sobald der gute Mann dann das große, rote Mädchen gewahrte, das diese Schar schwarzer Dämonen hinter sich herzuziehen schien, schlug er schnell das Fenster zu, entsetzt über diese Teufelserscheinung. Die Stille der schlafenden Stadt beruhigte die Aufständischen, die sich nun in die Gäßchen der Altstadt hineinwagten und so auf den Markt und den Rathausplatz gelangten, die durch eine kurze, breite Straße miteinander verbunden sind. Die beiden mit dürftigen Bäumen bestandenen Plätze lagen im hellen Mondschein. Das gerade erst restaurierte Rathaus bildete am Rande des wolkenlosen Himmels einen großen Flecken von hartem Weiß, auf dem der Balkon des ersten Stocks in feinen schwarzen Linien seine schmiedeeisernen Verzierungen abzeichnete. Deutlich sah man mehrere Leute auf diesem Balkon stehen: den Bürgermeister, den Kommandanten Sicardot, drei oder vier Mitglieder des Stadtrats und andere Beamte. Die Türen unten waren verschlossen. Die dreitausend Republikaner, die diese beiden Plätze füllten, hielten an und hoben den Kopf, bereit, die Türen mit einem einzigen Stoß einzurennen.
    Die Ankunft der Aufständischenkolonne zu dieser Stunde traf die Behörde unvorbereitet. Ehe sich der Kommandant Sicardot auf das Rathaus begab, hatte er sich noch die Zeit genommen, nach Hause zu gehen und seine Uniform anzuziehen. Dann mußte er eilends den Bürgermeister wecken. Als der von den Aufständischen wieder freigelassene Pförtner der Porte de Rome meldete, die Verbrecher seien bereits in der Stadt, hatte der

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