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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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unversöhnlichen Haß gegen seine Kusine Miette hegte. Zu Hause hielt er ihr das Brot vor, das sie aß, und behandelte sie wie ein verächtliches Geschöpf, das man aus Barmherzigkeit an einem Meilenstein aufgelesen hat. Vermutlich hatte das Kind sich geweigert, seine Geliebte zu werden. Dürr, bleich, mit zu langen Gliedern und einem schiefen Gesicht, rächte er sich an ihr für seine eigene Häßlichkeit und für die Geringschätzung, die ihm das schöne, blühende Mädchen wahrscheinlich bezeigt hatte. Sein Lieblingsgedanke war, sie vom Vater vor die Tür werfen zu lassen. Deshalb belauerte er sie unaufhörlich. Seit einiger Zeit hatte er ihre Zusammenkünfte mit Silvère herausbekommen; er wartete nur noch auf die entscheidende Gelegenheit, um Rébufat alles zu hinterbringen. Als er sie an diesem Abend gegen acht Uhr hatte aus dem Hause schlüpfen sehen, riß ihn der Haß fort; er konnte nicht länger den Mund halten. Bei seinem Bericht geriet Rébufat in einen schrecklichen Zorn und schwor, diese Herumtreiberin mit Fußtritten davonzujagen, wenn sie die Stirn haben sollte, wiederzukommen. Justin ging schlafen und genoß schon im voraus den köstlichen Auftritt, der sich am nächsten Tag abspielen würde. Dann verspürte er den heißen Wunsch, unverzüglich einen Vorgeschmack seiner Rache zu kosten. Er kleidete sich wieder an und ging fort. Vielleicht würde er Miette begegnen. Er nahm sich vor, sehr unverschämt gegen sie zu sein. So kam es, daß er dem Einzug der Aufständischen zusah und ihnen bis zum Rathaus folgte, in dem unbestimmten Vorgefühl, das Liebespaar in dieser Gegend zu treffen. Und schließlich fand er tatsächlich seine Kusine auf der Bank, wo sie auf Silvère wartete. Als er sie da in ihrer großen Pelisse erblickte, die rote Fahne neben sich an einen Pfeiler der Markthalle gelehnt, begann er höhnisch zu grinsen und grobe Späße zu machen. Miette war bei seinem Anblick so bestürzt, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Sie schluchzte unter seinen Beschimpfungen. Und während sie so von Schluchzen geschüttelt dasaß, den Kopf gesenkt, das Gesicht in den Händen, nannte Justin sie eine Zuchthäuslertochter und rief ihr zu, Vater Rébufat werde ihr zu einem feinen Tanz aufspielen, falls sie sich je unterstehen sollte, in den JasMeiffren zurückzukehren. Eine ganze Viertelstunde lang quälte er sie so, daß sie am ganzen Leibe zitterte. Die Leute bildeten einen Kreis um sie und lachten stumpfsinnig über den traurigen Vorgang. Endlich traten einige Aufständische dazwischen und drohten dem Burschen mit einer gehörigen Tracht Prügel, wenn er Miette nicht in Ruhe ließe. Justin wich zwar zurück, erklärte aber, er habe keine Angst vor ihnen. In diesem Augenblick erschien Silvère. Als der junge Rébufat ihn kommen sah, machte er einen jähen Satz, als wolle er fliehen. Er fürchtete Silvère, von dem er wußte, daß er sehr viel stärker war als er selbst; dennoch vermochte er nicht dem brennend wollüstigen Verlangen zu widerstehen, das junge Mädchen noch ein letztes Mal vor ihrem Liebsten zu beschimpfen.
    »Aha, ich wußte doch, daß der Stellmacher nicht weit sein konnte!« rief er. »Nicht wahr, um diesem Narren nachzulaufen, bist du uns davongerannt? Das arme Ding! Noch keine sechzehn Jahre ist sie alt! Nun, wann wird die Taufe sein?« Als er Silvère die Fäuste ballen sah, wich er noch einige Schritte zurück. »Aber eins rate ich dir«, fuhr er mit einem gemeinen Grinsen fort, »halte dein Kindbett nicht bei uns ab. Da brauchtest du dich nicht um eine Hebamme zu kümmern. Mein Vater würde dich mit Fußtritten entbinden, verstanden?«
    Plötzlich lief er brüllend, mit zerschlagenem Gesicht davon. Silvère hatte sich mit einem Satz auf ihn gestürzt und ihm einen furchtbaren Fausthieb mitten ins Gesicht versetzt. Er verfolgte ihn aber nicht. Als er zu Miette zurückkam, war sie aufgestanden und wischte sich hastig mit der flachen Hand die Tränen weg, und als er sie liebevoll ansah, um sie zu trösten, machte sie eine energische Handbewegung.
    »Nein«, sagte sie, »ich weine nicht mehr, du siehst ja … Es ist mir lieber so. Jetzt habe ich auch keine Gewissensbisse mehr, weil ich fortgegangen bin. Jetzt bin ich frei.«
    Sie ergriff wieder ihre Fahne und führte selber Silvère zu den Aufständischen zurück. Es war jetzt gegen zwei Uhr morgens. Die Kälte war so arg geworden, daß die Republikaner aufgestanden waren, im Stehen ihr Brot aufaßen und dabei auf der Stelle trampelten,

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