Das Glück der Zikaden
entschlossen habe, nachdem sie erfahren habe, wie viele Menschen und ihre Leben ihr toter Ex-Geliebter mit seinem Verrat vorsätzlich ruiniert hatte.
»20.000 in bar«, wiederholte Katarina in einem Tonfall, als sei sie dank ihres Berufs mit dem Jonglieren von Millionenbeträgen betraut.
»Keine Kleinigkeit«, erwiderte Richard matt.
»Ach«, wischte sie seine Bedenken aus der Luft und nahm telefonisch Kontakt mit der Bank auf, die ihren Teil des väterlichen Erbes verwaltete.
Es war wieder Anton, den sie ein paar Tage später in der Küche beim Frühstück traf, und der zu ihr sagte – als habe er es eben in einer Meldung auf Der Letzten Seite gelesen: »Daß dieser Werner Stiller noch lebt, das hätte ich ja auch nicht gedacht. Meiner Erfahrung nach, auch, wenn sie bescheiden ist, das muß ich zugeben, aber meiner Erfahrung nach schaffen es Spione, die so die Seiten gewechselt haben, nicht lange. Er muß ein höchst anpassungsfähiger Charakter sein, der Herr Stiller. Ein guter Spieler, in seinem Feld. Wenn er einen Sohn hätte, der hätte sicherlich vor allem eins vom Vater gelernt: Geschichten zu erfinden, die er zur Realität vervollkommnet.«
»Wer sagt, daß er noch lebt?«, fragte Katarina spitzfindig.
»Du hast recht. Nur die Zeitung. Und wer glaubt schon einer Zeitung.«
Richard blieb siebenundzwanzig Tage verschollen, dann stand er wieder am Ende einer Nacht, im Morgengrauen, unter dem Wintergartenfenster und rief nach ihr. Er benutzte sogar die Koseform ihres Namens. Sie wachte auf davon, daß sie leise ein sonores, »Katjuscha, Katjuscha« hörte. Sie war sofort hellwach, öffnete ihm die Tür, machte ihm eine Kürbissuppe, eine Pizza, einen gezuckerten Joghurt, war in ihrer Freude bereit, ihm Erdbeeren in den Mund zu füttern, zog sich für ihn aus, legte ihm Kissen in den Nacken, krauelte ihn vom Scheitel bis zur Sohle und bewachte seinen unruhigen, von Nervosität gebeutelten Schlaf.
Am Morgen sagte er: »Es tut mir wirklich unendlich leid, daß ich nichts von mir habe hören lassen, Liebste.«
Sie atmete den Satz, das letzte Wort ein, es glühte in ihrer Brust wie ein Schluck Tee, den man zu heiß getrunken hatte, sie spürte, wie die Wärme, die davon ausging, bis in ihren Bauch wanderte. Sie schwor sich, frei von Zweifeln und selbstüberzeugt in dem Gefühl, wirklich gebraucht zu werden von einem Menschen –, daß sie Richard zu jeder Zeit jeden Wunsch erfüllen wollte. Im Grunde nur für die Art, wie er die Entschuldigung und das Wort ›Liebste‹ ausgesprochen hatte.
Vorsichtig und voller Rücksicht bat sie ihn um eine Erklärung. Sie hätte ihn gar nicht bitten müssen, er breitete von allein die Landkarte seiner Verlorenheit aus.
»Meine Mutter. Habe ich dir von ihr erzählt?«
»Ja«, sagte Katarina, »geht es ihr besser?«
»Es ist eine Katastrophe, und ich mache mir Vorwürfe, denn ich hätte es wissen können. Ahnst du, was sie gemacht hat, in der einen Woche, die ich sie nicht besucht habe, weil ich zu einem Dichtertreffen nach Krakau eingeladen war, als alleiniger Berichterstatter. In dieser einen Woche hat sie in einem Einkaufsender eine neue Freundin gefunden und sich zehn bis zwölf Stunden am Tag so gut mit dieser Freundin verstanden, daß sie jedes Produkt, was die ihr im Vertrauen empfahl, gekauft hat. Sie hat drei Bauch-Beine-Po-Trainer, ein 100-teiliges Messerset, zehn japanische Bonsai-Bäume, Haufen aus Wechselleuchtspringbrunnen, einen falschen Diamanten und eine komplette Wohnzimmereinrichtung gekauft. Sie ist unter dem Berg Schulden, den ich ihr vorrechnen mußte, eingeknickt. Seither trinkt sie wieder, obwohl sie seit Wochen, wirklich Wochen, trocken war.«
»Konsum ist das Aspirin der Einsamen«, sagte Katarina und schmeckte sofort das Billige des Tadels.
»Wir müssen ihr helfen«, sagte sie schnell.
»Ja, ich weiß nur nicht wie«, bemerkte Richard, den Blick auf den Fußboden gerichtet. Katarina strich mit einem Finger unter seinem Kinn entlang, sie küßte seinen Mundwinkel, sie flüsterte ihm ins Ohr. Sie sah sein schmales, noch ungläubiges Lächeln. Sie flüsterte weiter. Sie sah, wie er grinsen wollte, lächeln, aber sich das Lächeln zugleich verbat. Sie sah seine Erleichterung, wie er sich für einen Augenblick entspannte und zugänglich, nahbar wirkte. Sie ließ sich von ihm die Kontonummer seiner Mutter nennen und rief ihre Bank an, um eine Summe zu überweisen, die der vorherigen in nichts nachstand.
Anton wirkte am nächsten Tag, als
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