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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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glücklichen Zufall hervorhob, lächelte sie. In all der Zeit, die sie miteinander verbrachten, erzählte Katarina ihm nichts von Gregor. Dabei hatte sie volles Vertrauen zu ihm. Sie vertraute ihm noch, als sie ihm längst schon nicht mehr hätte vertrauen sollen, als das Geflecht seiner Lügen die Qualität eines Jutesackes hatte. Und er weder souverän die Fäden in der Hand hielt noch etwas dagegen zu haben schien, in nicht allzu ferner Zukunft aufzufliegen.
    Er trug dunkelgraue Anzüge, immer den gleichen eleganten, fast staatstragenden Schnitt. Er trug weiße Hemden, den obersten Knopf geöffnet. Er hatte ausgeprägte Stirn-knochen, überhaupt ein Gesicht mit markanten Konturen, buschiges, fast drahtiges Haar. Sein Lächeln war in der Zeit, in der sie sich kennenlernten, noch geprägt von der Selbstsicherheit seines Erfolges. Nur in Augenblicken hätte Katarina den kalten Zynismus wahrnehmen können, derihm wohl lebensnotwendig schien, denn Richard wußte schon damals, daß niemand anderes sein Leben in Grund und Boden ruinieren würde als er selbst. Seine Stirn war nicht mehr sorgenfrei und glatt wie früher, als ihm, wie er es selbst sagte, mit Anfang zwanzig sein Staat abhanden gekommen war.
    Sie gingen ins Eckhaus und dort durch eine der Türen, hinter denen beim Einzug die eilig zugemauerten Wände gestanden hatten. Seit Senta sie hatte öffnen lassen, waren die Zimmer zwar zugänglich, aber niemand hatte richtig in ihnen wohnen wollen. Richard trug Kissen und Sofapolster in eins dieser Zimmer, sie bauten sich eine Insel des Glücks und liebten sich die nächsten sechs Wochen mehr oder weniger durchgehend. Sie betrachteten ihre Körper in den nächtlich-dunklen Fensterscheiben. Sie schnupperten sich durch die Gerüche des anderen, tranken einander, lösten ihre Lippen nur, um zum Atmen zu kommen, sie schlenderten zweimal am Tag in die Küche und ließen sich von Lydchen stärkende Mahlzeiten servieren. An einem Abend saß Anton in der Küche am Tisch, las in der Zeitung, für die Richard schrieb, die Zeitung war ausgebreitet wie eine Tischdecke, sie stellten ihre Teller mit Suppe darauf ab.
    »Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, fragte Anton.
    »Richard Pehl, sehr angenehm«, sagte Richard mit einem angedeuteten Diener statt eines Händedrucks.
    »Von Richard Pehl habe ich hier gerade was gelesen«, sagte Anton, »und ich bin vollständig anderer Meinung als er. Die Astrologie gehört nicht ins Feld der Esoterik. In die retten sich jene Zeitgenossen, die zu verzweifelt auf der Suche nach einem Sinn in einer sinnlosen Welt sind. Aber Selbsterkenntnis, wie die Astrologie sie uns ermöglicht, ist keine Sinnsuche. Selbsterkenntnis ist das Gegenteil beharrlicher Oberflächlichkeit. Die Astrologie hilft uns dabei. Ich verstehedurch sie, daß es oben wie unten, hier wie dort, überall gleich ist. Daß wir Menschen alle gleich sind. Diese Einsicht bietet uns die Astrologie, Herr Pehl.«
    »Was Sie nicht sagen«, sagte Richard, und Katarina sah im Gesicht ihres Großvaters das Erstaunen über die Präpotenz der Jugend vor dem Alter.
    »Ich werde einen Leserbrief schreiben«, sagte Anton.
    »Tun Sie das. Nur liest den keiner.«
    Anton zog mit einem Ruck die Zeitung zu sich, so, daß die Suppenteller nur kurz ruckten, nichts überschwappte. Er zerknüllte die Seiten und warf das Knäuel in den Korb für das Altpapier. Dann stand er auf und verließ die Küche. Lydchen folgte ihm.
    Richard und Katarina gingen zurück in ihr abgelegenes, dunkles Zimmer, sie liebten sich auf den Matratzen und Kissen, nur schien Katarina die Leichtigkeit verschwunden gegangen zu sein. Sie meinte zu ahnen, daß ihr Großvater mit einem Ohr an der Wand stand. Sie bemerkte, daß Lydchen nicht mehr so schmackhafte Suppen kochte, öfter sogar zu Linsen oder Graupen griff, die sie zu einem undefinierbaren Brei verkochte, um auf diese Weise ihre Solidarität mit Anton zu erklären.
    In dem Versuch, an die Sorglosigkeit vom Anfang anzuknüpfen, trafen Richard und sie sich nur noch in seiner Wohnung, einem perfekt möblierten, alterslosen Appartement, in dem selbst die Bücher in den Bücherregalen so wirkten, als seien sie als Ausstattungsgegenstände mitgemietet worden. Achmatowa bis Frisch hätte ich gerne, dann Nabokov bis Shakespeare, wenn’s geht. Bitte Dickens vollständig, keine Ausnahmen, auch den Goethe komplett und von Christa Wolf bis Zola. Katarina bemerkte, wie sie voller Vorsicht das Treppenhaus hochschlich, bis in den dritten

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