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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Flaschen entfernen.«
    Katarina biß in das Brötchen, das sie um die Nürnberger Bratwurst gelegt hatte und kaute beides durch. Sie wartete auf ein Bedauern, eine Geste, die ihr zeigte, daß er nur ungern zu seiner Mutter fuhr. Er schaute nachdenklich in den Wald aus Krüppelkiefern, weiß leuchtete dazwischen der Sand. Sie schluckte das Zerkaute hinunter und sagte, wie leid es ihr tue, daß er so eine fürchterlich traurige Lebensgeschichte habe, aus so einer zerrütteten Familie stamme. Sie bot ihm ihre Hilfe an. Sie küßte ihn. Sie bot ihm ihren Körper an, um zusammen mit ihm das Vergessen zu nähren. Sie kniete sich neben ihn hin und liebkoste sein Gesicht, seine gefurchte, kräftige Stirn, seine wollenen Haare, sie küßte sein linkes Ohr, sie saugte daran, als könne sie alle trüben Gedanken dazu bringen, Richards Kopf zu verlassen. Sie verschränkte ihre Finger in seinen, mit der Präzision einer Architektin, die einem wackeligen Gerüst mehr Stabilität zu verleihen weiß. Sie zog sich selbst aus, weil er es nicht machte. Sie fragte ihn, was sie noch tun könne, um ihn glücklich zu machen. In Gedanken räumte sie schon die Wohnung der Mutter mit ihm zusammen aus, trug die delierende Frau in eine Klinik, bewachte ihren Entzug, päppelte und wusch sie, kleidete sie ein, brachte sie als neuen Menschen nachHause, der fortan so zufrieden war – vor allem mit der Liebeswahl ihres Sohnes –, daß es nie wieder einen Zusammenbruch im Alkohol, ein Ertränken ihres Lebensschmerzes geben mußte.
    Er sagte: »Ich bin eine ehrliche Haut. Ich sage dir, wie es ist. Ich kann dich nicht mehr in meiner Nähe haben.«
    Sie zog in der Nacht aus der Datscha aus, schlief auf Kiefernnadelsand, quer über einer Ameisenstraße; die Fleißigen hatten morgens einen Umweg durch ihre Schenkel, über ihre linke Schulter, am Hals vorbei zurück in den Boden gefunden.
    Richard war früh, noch in der Dämmerung, als sie für Minuten eingeschlafen sein mußte, abgereist.
    Als Katarina Wochen später das erste Mal ihrem Großvater im gemeinsamen Haus begegnete – sie waren sich schlafwandlerisch aus dem Weg gegangen, immer zu unterschiedlichen Zeiten aufgestanden und zu Bett gegangen, nie hatten sie sich gleichzeitig zum Essen in der Küche eingefunden –, als sie Anton gegenüberstand, er im Streifenpyjama, sie in T-Shirt und Jogginghose, da sagte er: »Bist du endlich aufgewacht?«
    »Vielleicht will ich das gar nicht.«
    »Dann tu mir den Gefallen, oder deinem verstorbenen Vater. Ja, auch dem.«
    »Warum?«
    »Wenig richtet mehr Unheil an als Angst vorm Verlassenwerden«, sagte er und ging wieder.
    Sie rettete sich ins Klavierspielen, aber sie spielte nicht um des Spielens willen, sie arbeitete, während sie spielte, sie schuftete, wuchtete Berge aus Steinen um, kletterte hoch, räumte sie auf, schüttete neben ihnen neue Berge aus den alten, riß sich die Hände ein, trat sich die Füße wund, esdurfte keinen Spaß mehr machen, das Spiel, das sie so liebte, es mußte harte Arbeit sein, immer noch härtere Arbeit, bloß keine Freude durfte sie daran haben, sie drehte sogar den Beethoven auf dem Schrank wieder um, damit er über sie richten konnte, wütend sandte er Blicke wie Nadelstiche und ließ sie mit jedem Tag ein paar Zentimeter kleiner werden.
    Glücklicherweise tauchte Richard wieder auf, rechtzeitig, bevor sie auf Augenhöhe mit ihrem altersbedingt schrumpfenden Großvater angekommen war. Unterhalb des Wintergartenfensters im nachtdunklen, verwilderten Vorgarten des Eckhauses stand Richard und rief ihren Namen. Sie öffnete ihm sofort, ließ ihn hineinklettern, machte ihm eine Möhrensuppe, eine Pizza, einen gezuckerten Joghurt, zog sich aus für ihn, richtete ein Kissen unter seinem Nacken, küßte und liebkoste ihn vom Scheitel bis zur Sohle und bewachte den Rest der Nacht seinen tiefen Schlaf.
    Am Morgen, über zwei dampfenden Tassen Kaffee, bat er sie um einen Gefallen. Jene Geliebte seines verstorbenen Vaters habe die Möglichkeiten der modernen Medien erkannt und sei gewillt, sie für sich zu nutzen. Sie habe eine Biographie schreiben lassen, in der die letzten Tage des Staatsfeindes Nummer 1 eine nicht unwesentliche Rolle spielten, sie habe einen Verlag gefunden, der dieses Buch veröffentlichen werde, es ginge alles ganz legal zu, keiner könne etwas dagegen tun, die Frau sei nicht mehr zu stoppen, außer jemand gebe ihr 20.000 in kleinen Scheinen, dann werde sie ihren Feldzug der Wahrheit beenden, zu dem sie sich

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