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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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regelmäßig neu besohlt und ebenso regelmäßig blankgeputzt wurden. Sein Blick ruhte auf ihr, das sah sie, untergründig etwas nervös, aber irgendwie auch selbstgewiß, als ahnte er, daß die Frau, die er beharrlich, aber dezent umwarb, sich in naher Zukunft gegen den Revolutionär und für ihn entscheiden würde. Sie hatte Gregor um Stillschweigen gebeten, selbst verwirrt davon, daß es ihr ein Anliegen war. Michael sollte nicht wissen,daß sie mit Gregor geschlafen hatte. Daß er der erste Mann gewesen war, dem sie sich hingegeben hatte. Sie spürte, daß an diesem Abwägen und Jonglieren mit der Zuneigung zweier Männer etwas nicht in Ordnung war, daß in ihrem Verhalten eine seltsam kühle Schachspielmentalität mitschwang, sie redete sich die Zweifel aus, indem sie sich daran erinnerte, als Frau in dieser Zeit nicht wirklich die Wahl zu haben, selbstbestimmt zu leben. Es schien ihr ein Recht zu sein, zu schauen, daß sie eine gute Partie machte und nicht plötzlich schwanger und ledig dastand, auf lange Zeit abhängig von ihren Eltern.
    Michael ging zurück in sein Zimmer, schloß die Tür. Ein Stich wie eine Zurückweisung. Und für Gregor ein Zeichen, ihr wieder nahe kommen zu dürfen. Senta sah Michael am Schreibtisch sitzen, über ein Buch gebeugt, wie er konzentriert und bei der Sache war und doch auf sie wartete. Sie sah sich neben ihm sitzen, immer um ein paar Zentimeter Abstand bemüht und dennoch angenehm angezogen von seiner körperlichen Präsenz, wie er sich kleidete, wie er roch, seine ganze gepflegte Erscheinung.
    Nur blieb er, allem zum Trotz, in ihrer Vorstellung ein Mann ohne Konturen, ohne Leidenschaft.
    Gregor griff nach ihrer Hand und sagte: »Pack endlich deine Sachen.«
    Sie standen sich gegenüber, sie spürte, wie er mit seinen Fingern die ihren umhakte.
    »Denn, weißt du was«, sagte er und lächelte sie an. Und statt zu sagen, was nicht gesagt werden mußte, küßte er sie, warm, weich, verloren, sehnsüchtig. Und sie küßte ihn und spürte das erste Mal in ihrem Leben, wie sich das anfühlte, in einem anderen Menschen ganz aufgehoben zu sein.

S entas Vater hatte zu Beginn seiner Karriere auf Der Letzten Seite einfach immer so dahingeplaudert, es war noch nicht wieder in Mode gekommen, in die Sterne zu schauen, auf Vorhersagen zu hoffen oder sogar an sie zu glauben. Die Wissenschaften hatten sich solide zweigeteilt. Ernstzunehmende Naturforscher waren die Astronomen, versponnene Mystiker die Astrologen. Solche kulturgeschichtlichen Finessen hatten Anton nie interessiert. Er hielt Umgang mit den Sternen und ihren Standorten in der pragmatischen Art, die ihm grundsätzlich eigen war. Er fand die Verläßlichkeit der Sterne, ihr Dasein am Himmel sympathisch. Sie konnten ihm nicht verloren gehen, sie waren berechenbar, frei von Überraschungen. Erst nach Nadjas Tod setzte ein Sog ein, der ihn in die verwunschenen Gänge der Interpretation hineinzog, ihn mehr und mehr zu einem Suchenden machte, ohne daß er den Grund für diese Bewegung verstehen konnte. Der Mensch verrät seine Natur durch eine Vorliebe für einen bestimmten Geburtsaugenblick. Solche Sachen hatte er leichtfüßig hingeschrieben, nun gab es Momente, da er das Erschütternde darin, die Macht eines Willens, nicht mehr übersehen konnte. Die Weltflucht, die er mit Leichtigkeit und fabulierender Kraft betrieben hatte und für die ihm seine Leser dankbar waren, funktionierte plötzlich nicht mehr, so, wie vor Nadjas Tod. Er begann, in den klassischen Werken zu lesen, hinab bis zur griechischen Mythologie, als fände er dort Abhilfe oder Trost. Beim Wiederaufstieg stießer auf Thomas von Aquin, der gesagt hatte, daß die Sterne nur geneigt machten, nicht zwängen, und zitierte ihn erleichtert. Er bekam Leserbriefe, vornehmlich von Frauen, in denen er gebeten wurde, Lebenshilfe zu leisten, er kenne doch die Zukunft, die Vergangenheit, all das unerklärliche Tun und Lassen der Welt, eine besonders Beharrliche schrieb immer wieder, ob er ihr nicht endlich verbindlich sagen könne, wo sie noch den einen Mann fände, ob im Westen oder Osten, im Norden oder Süden, in Karlsruhe, Kiel oder Wanne-Eickel, allein sein Wort würde ihr helfen, genauso wie der Umzug an eben jenen Ort. Er begann solche Leserbriefe zu vernichten. Was fragten sie ihn um Rat, der sich doch selbst mehr als ratlos zu fühlen begann. Es erschienen Leute in der Redaktion, die mit seiner Sekretärin schon Treffen ausgehandelt hatten, die sich zu ihm einluden, ihm

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