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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Bedürfnisse zu befriedigen, Wünsche, die sie immer als Forderungen verstand und daher lieber sofort als etwas später erfüllte. Sie hatte bemerkt, wie in letzter Zeit immer mal wieder, immer öfter auch, etwas aus ihr herausgebrochen war, eine wütende Kraft, die sie an einen alternden Diktator denken ließ, der spürte, wie ihm die Gefolgschaft aufgekündigt wurde. Es fiel ihr schwer, sich das einzugestehen, aber es war so: Sie hatte tyrannische Züge. Sie wollte in diesen Augenblicken mit jeder Zelle ihres Körpers, daß die Dinge so liefen, wie sie es sich wünschte. Sie kannte keine Alternativen mehr. Sie sah nur das vor sich, was sie erreichen wollte: den Kindern die Wintersachen anziehen, sie pünktlich zur Schule bringen, alle gegeneinanderlaufenden Möglichkeiten unter einen Hut bringen. Sie wollte in diesen Augenblicken so sehr, daß alle das machten, was sie sich von ihnen wünschte. Wenn das nicht passierte, und das war natürlich immer der Fall, ging ihr die Langmut verloren. Ihre Ruhe, ihre Toleranz, schmolz ein auf Erbsengröße, und diese Diktatorstimme brach aus ihr heraus. Nur vor den Kindern, nie vor Michael. Wenn Michael im Raum war, gab es etwas, das sie beherrschte. Wenn er nicht da war, stand mit einem Maldiese andere Hälfte einen Schritt vor ihr. Keiner der Anwesenden richtete sich nach dem hysterischen Kommandeur, das war ihr völlig klar, im Gegenteil, das Zusammenzucken der Kinder war nur eine Reaktion auf ihre tiefere Stimmlage. Sie fingen an, sich zu ducken und ihren Weg zu gehen. Nie wünschte Senta sehnlicher, die Zeit zurückdrehen zu können, als nach jedem dieser Ausbrüche, und zwar sofort, als hätte es ihn nie gegeben. Nie fühlte sie sich einsamer, von allen guten Geistern verlassen. Wirklich, ja, verlassen.
    Sie merkte, wie ihr von sich selbst das Bild blieb, mehr nur noch eine Hülle zu sein, die den eigentlich so nährenden Namen Mutter trug. Ja, nach viel mehr fühlte sie sich nicht an. Wie war das passiert, ohne daß sie es recht gemerkt hatte?
    Der Mann sortierte das Feld um, schob eine Karte mit einem Wesen, das eine Mischung zwischen Hund und Pferd war, in Sentas Richtung und lächelte einseitig wissend, ein wenig theatralisch, aber nicht arrogant. »Die Natur macht keine Sprünge. Sie liebt die Gleichförmigkeit, die Wiederholung. Auch zwischen den Generationen, da glauben wir gern was anderes, aber wir stehen nur eine Stufe weiter oben oder unten, je nachdem wie das Rad sich dreht. Dein Schicksal, dein Glücksrad, hier, das ist die letzte Karte, oh, ich würde sagen, gutes Zeichen, Madame, gutes Zeichen.« Drei Affen auf dem Rad, das sah Senta. Gregor, Michael und sie, dachte sie und mußte unwillkürlich grinsen. Der Versehrte schob mit einem präzisen Zucken das gefaltete Taschentuch zur Seite. »Spring durch den brennenden Reifen der Welt, endlich. Hier, der Herkules sagt, du kannst Herausforderungen mit Beharrlichkeit meistern. Mach dich beharrlich auf die Suche.«
    »Wonach?«
    »Nach deinen Gefühlen.«
    »Aber vielleicht sind sie nicht mehr auffindbar. Vielleicht sind sie schon zu weit weg, abhanden gekommen.«
    Er lächelte halbseitig. »Es gibt solche und solche Menschen. Einige können ihr Herz öffnen, andere können es nicht. Du gehörst zu denen, das sehe ich dir an, die das können, wenn sie nur wollen.«
    Er hob die Hand wie ein Mann, der einen Eid zu leisten plante. Ein Torso war er, ging es ihr durch den Kopf, ein Torso, der an allen Rändern ausbricht wie ein Stern, keine Stelle, die dich nicht sieht. »Und was passiert, wenn man es öffnet?«
    »Man wird gesund.«

»I hr Visum?«, hatte bei Gregors Betreten der Grenzschützer knappkantig gefragt. Gregor stand in der Schleuse im Übergang, neben dem Kontroll-Kabuff, und hatte einen Moment gebraucht, um seine Fassung wiederzugewinnen. »Ich, nun, ich bin avisiert«, hatte er dann gesagt, der Grenzer hatte das mit einem ironischen Kopfnicken abgetan: Sicher, du Wichtigtuer, auf dich wartet die Welt. Dann war er mit Gregors visumfreien Paß durch die hintere Buchenfurniertür verschwunden. Gregor hatte ein Gespräch mitgehört, die knarrende, nun vorsichtige Stimme des Grenzers, ein zurückgekegelter Befehl. Das Bild einer Feldmaus an der Wand gegenüber, ein Abrißkalender, ein Bleistift auf dem schmalen Spanplattentisch. Hier begann das Land seiner Träume als ein kleines Rechteck, das der Grenzer mit seinem Körper ausfüllen konnte. Aber wenn er durch dieses Nadelöhr war, würde sich das Land

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