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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Schreibmaschine klackerte und ratschte nicht – hatte Gregor am Fenster des Arbeitszimmers gestanden, in die Dunkelheit draußen geschaut, ohne etwas oder jemanden zu sehen, und plötzlich das starke Gefühl gehabt, ein Mensch sei hinter ihm ins Zimmer getreten. Ruckartig hatte er sich umgedreht. Erwartet, daß Winfried dort steht. Niemand stand dort. Er war sich aber sicher gewesen. Ein Zittern hatte seinen Körper ergriffen, wie eine zu lang ausgehaltene Beherrschung, die sich lösen mußte. Er hatte ins Dunkle des Zimmers gestarrt, fest überzeugt, daß derjenige nun bald eintreten, aus dem Schrank, seinetwegen auch aus der Wand treten müßte. Niemand erschien. Es blieb nur das Zittern und das Rätselhafte des Augenblicks, das sich in eine diffuse Vorahnung wandelte. Da hatte er schon angefangen, im Kopf den Brief zu formulieren. Er mußte ihn nur noch tippen, und während er tippte, konnte er nicht mehr daran denken, wie der Staat mit Republikflüchtlingen umging, was an der Grenze passierte. Er konnte nur noch an Terrassenüberdächer, an brückenartige Verlängerungen, an Möglichkeiten zur Fortbewegung denken. Er war drauf und dran,den Brief in den Ofen zu werfen, aber dann drückte er ihn seinem pensionierten Freund doch noch in die Hand.

D er Frühsommer des Jahres, das später als das Jahr des Mauerfalls große Berühmtheit erlangte, begann mit besonders hohen Temperaturen und einer trockenen Hitze, hier in Spanien. Senta und Michael wohnten nun seit eineinhalb Jahren in dem wiederaufgebauten, wie ein langer Riegel am Fuß des Berges stehenden Steinhaus. Der vormals verwilderte Olivenhain nahm Gestalt an, die Kinder gingen auf Internate in Bayern und Schleswig-Holstein und besuchten ihre Eltern in den Schulferien, wobei sie es erstaunlich gut schafften, im Süden Europas ausspannen zu können.
    Seit dem Frühjahr, seit hier Teile des Airbus gebaut wurden, fuhr mindestens einmal im Monat ein Höhenleitwerk auf der schmalspurigen Bergstraße oberhalb des Schlafzimmerfensters vorbei. Am liebsten fuhren die Leitwerke nachts. Senta lag in ihrem Bett, hörte das Donnergrollen des Lastzuges schon von weitem, wie ein Indianer auf einer Bahnschwelle, so kam sie sich vor, nur, daß sie dem Feind keine Falle stellte. Sie hätte es gern getan. Sie hatte schon einmal darüber nachgedacht, sich auf die Straße zu legen, festzuketten, einen weißen Kreis um sich zu malen, in der Hoffnung, daß der übermüdete Fahrer sie rechtzeitig im Licht seiner Scheinwerfer entdeckte.
    Nicht sie, Michael hatte die Idee endgültig verworfen. Er hatte am Frühstückstisch, wie jeden Morgen, ihr gegenüber gesessen, die Marmelade bis an die Ränder des frischgebackenen Dinkelbrotes gestrichen und gesagt, »Liebling, glücklicherweise hast du noch nie zur Rebellin getaugt.«
    Der nahende Lastzug ließ das Haus vibrieren. In der Küche klapperte das Geschirr. Die Wände zitterten und auch die Bücher im Regal, stand eines zu weit vorn, fiel es schon mal heraus. Dann raste der Lastzug am Fenster vorbei, auf der viel zu schmalen Landstraße, darauf ein in weißes Plastik geschweißtes Ding aus einer anderen Welt. Der unbefestigte Schirm der Nachttischlampe rutschte auf die Seite.
    Sie horchte, ob etwas in der Küche von den Regalbrettern fiel, es war still. Hätte sie gewußt, daß heute nacht wieder ein Leitwerk vorbeikommen würde, hätte sie die Kupferkrüge, die in der Küche zur Dekoration dienten, aber wackelig standen, auf den Fußboden gestellt. Sie schaute zu Michael hinüber, der atmete tief und ruhig mit dem ernsten Gesicht eines Menschen, der auch noch konzentriert schlafen konnte. Sie drehte sich um und nickte noch einmal ein, bis der Rundwecker rasselte und sie hochschreckte im Gefühl, eine Nacht auf dem Rücksitz eines klapprigen Autos durchgerüttelt worden zu sein.
    Die Sonne fiel in langen Streifen durch die Lamellen des Fensterladens und malte ein Fleckmuster an die gegenüberliegende Wand. Mit einem Ruck stand sie auf, ohne einen Blick zurück auf Michael zu werfen, es war nichts Ungewöhnliches, daß er am Weckerklingeln vorbei weiterschlief.
    Sie war nicht wirklich stolz auf die Schönheit des Hauses und des Grundstücks. Alles schmiegte sich an den Fuß des Berges, Berg war zuviel gesagt, eine steinige Höhe, ein Teil Kiefernwald, ein Teil Olivenhain, auf dem Schafe weideten, das Gras kurz hielten und leise klingelten. Aber die Schönheit des Ortes, seine klare Helligkeit, erfüllte sie mit so etwas wie

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