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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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später auch ab und zu noch das Z und das P.
    Es gab viele Wörter, die mit diesen Buchstaben beginnen wollten, aber die tückische Technik schrieb ihnen fortan vor, sozialismus und demokratie, manchmal auch zentralorgan und politbüro klein zu schreiben.
    Sie merkten an unauffälligen Details, daß sich um sie herum etwas veränderte, sie hatten eine geschulte Wahrnehmung, vor allem Winfried, und so wußten sie früh, daß man ihnen auf den Leib rückte, daß sich die unsichtbaren Augen und Ohren auf sie richteten, ihnen immer ein Stück näher kamen. Weder ignorierten sie dies, noch übersahen sie es naiv, noch retteten sie sich in den Gedanken kalter Feindschaft oder blanker Abscheu. Eher suchten sie den Kontakt zu denjenigen, die sie verfolgten, schauten sich nach ihnen um, provozierten Zusammentreffen und damit eine offen wütende Reaktion, so daß beide zu ebenso vielen Jahren Haft verurteilt wurden, wie sie Bücher in Umlauf gebracht hatten.
    Es war Winfried ein so tiefes Bedürfnis, seine Ansichten mit seinen Mitmenschen zu teilen, daß er auch in der folgenden Gerichtsverhandlung keine Aussage verweigerte. Er beharrte vor dem Bezirksgericht Dresden auf der Feststellung, er sei Marxist-Leninist, und zwar jetzt und heute. Die Richter Frätz, Scheumann und Lidenhoff urteilten knapp: »Die wiederholt vom Angeklagten abgegebenen Erklärungen und die in seiner Vernehmung zur Person und zur Sache gemachten Aussagen, die insgesamt darin münden, daß er auf dem Boden des Marxismus-Leninismus stehe und daß er ein kritischer Marxist und Kommunist sei, werden aufgrund der von den Zeugen getroffenen Aussagen, die in wesentlichen Teilen vom Inhalt her übereinstimmen, nicht bestätigt, obwohl er sich stets als Marxist ausgab.«
    Gregors Erklärung, daß auch er sich als Marxist-Leninist verstehe, wurde mit der nicht ganz ironiefreien Bemerkung abgetan, er habe ja erst zwei Jahre nach seinem Übertritt auf den Boden der Deutschen Demokratischen Republik überhaupt die Staatsbürgerschaft angenommen, da wisse man ja, wie man ihn zu behandeln habe. Er sei, so urteilten die Richter Frätz, Scheumann und Lidenhoff abschließend, in seinem Herzen immer ein Feind geblieben. Eine Nettigkeit also, ihn nicht härter zu bestrafen.
    Dann verkündeten sie weiter, daß die Äußerungen der Angeklagten nichts mehr mit dem verfassungsgemäß garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung zu tun gehabt hätten, was zumindest dem Angeklagten Winfried Schlack bei seiner familiären Vergangenheit vom Wissensstand her auch hätte geläufig sein müssen. Aber, so bogen sie den Fall und zurrten ihn fest, dieser Angeklagte habe sich bewußt Positionen zu eigen gemacht, die als staatsfeindlich zu werten seien. Mit den Bemerkungen, mit denen die Angeklagten Gregor Naumann und Winfried Schlack die Bücher übergeben hätten, wobei auch die zuvor geführten politischen Gespräche in Zusammenhang gebracht werden müßten, könne man deutlich beweisen, daß die Angeklagten jedes der übergebenen Bücher vom Inhalt her kannten.
    Was keiner von beiden je bestritten hatte. Im Gegenteil, sie hatten glaubhaft nachgewiesen, ein jedes über zweihundertmal abgetippt zu haben.
    Nur einen Tag, bevor die Staatssicherheit in Form eines überwiegend dunkel gekleideten Trupps äußerst unhöflich und jenseits aller üblichen Einlaßrituale in Winfrieds Wohnung krachte und Gregor und Winfried von einem weiteren nächtlichen Kopiervorgang abhielt –, nur einen Tag zuvor hatte Gregor einen alten Bekannten aus der Gärtnerei, der vor einem Jahr in Rente gegangen war, gebeten, ob er bei seiner Westreise nicht einen Abstecher zu einer Adresse machen könne, die er zuvor freundlicherweise in einem WestBerliner Telefonbuch unauffällig ermitteln müsse. Gregor war immer davon ausgegangen, daß Senta seinen einstigen Mitbewohner Michael Müller-Bredow geheiratet hatte. Das war sein Glück. So fand der alte Bekannte das Eckhaus im Grunewald, und damit Senta, und übergab ihr den von Gregor verfaßten, mitunter blumig gehaltenen Brief, der nicht weniger war, als ein in einer ängstlichen Minute verfaßter Hilferuf auf der Schreibmaschine mit dem kaputten großen S und D. Gregor kannte und schätzte Winfrieds unbeirrbare Überzeugung, da gab es keinen falschen Stolz, keine Eitelkeit, sondern nur den Glauben, daß jede große Veränderung ihren Ursprung im Kleinen hat. Aber in einer Nacht zuvor – Winfried hatte sich mit einer Erkältung ins Bett gelegt, die

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