Das Glueck einer einzigen Nacht
sie endlich zur Ruhe kommen. Die Konfrontation würde noch heute stattfinden. Er würde kommen. Barbara spürte es.
Als eine Staubwolke auf dem Feldweg zu ihrem Haus das Herannahen eines Autos ankündigte, wußte Barbara, daß ihre Ahnung sie nicht getrogen hatte. Das Herz klopfte ihr plötzlich zum Zerspringen. Sie richtete sich auf, wischte sich die vor Erregung feuchten Handflächen an ihren Jeans ab und beobachtete, wie Marvins Jeep näherkam. Es war ihr, als sähe sie ihrem Richter entgegen.
Mit quietschenden Reifen hielt der Geländewagen vor ihrem Haus. Marvin sprang heraus, knallte unsanft die Tür hinter sich zu und marschierte zielstrebig zur Terrasse. Es kostete Barbara äußerste Selbstbeherrschung, sich lässig mit der Schulter an den Pfosten des Geländers zu lehnen und ihn mit ruhiger Stimme zu begrüßen.
„Guten Abend, Marvin. Ich habe dich erwartet“, sagte sie kühl.
Vor den Stufen, die zur Terrasse hinaufführten, blieb er stehen, schaute sie finster an. „Sehr gut, Barbara. Das erspart uns sinnlosen Ärg^er und eine Menge überflüssiger Worte.“
„Überflüssige Worte haben dir ja noch nie gelegen, Marvin. Darf ich dir ein Glas Limonade anbieten? Es ist immer noch ziemlich heiß. Du mußt doch durstig sein.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und ging ins Haus.
Marvin war außer sich vor Wut, daß sein drohendes Auftreten Barbara unbeeindruckt
ließ.
Mit
zwei
Schritten
war
er
die
Terrassenstufen
hochgesprungen, folgte ihr ins Haus. „Du kannst deine Limonade behalten!“ fuhr er sie an. Und als Barbara trotzdem gleichmütig zwei Gläser füllte, steigerte er sich noch weiter in seine ohnmächtige Wut. „Gestern abend habe ich dir dringend geraten, aus Farretts Corner zu verschwinden. Heute aber befehle ich es dir!“ schrie er.
„Ich glaube, du wirst die Limonade mögen, Marvin. Sie ist schön sauer – ebenso wie deine Laune.“ Mit einem frechen Lächeln hielt sie ihm das Glas hin.
Doch bevor Barbara noch wußte, was geschah, hatte er ihre Hand heftig beiseitegestoßen, so daß das Glas mit lautem Klirren auf dem Küchenboden zerschellte. „Für dich ist das wohl alles nur ein unterhaltsames Spiel“, sagte er bissig, während sich seine Gesichtszüge vor tiefster Abscheu verzerrten.
„Irgendein perverses, abgefeimtes Spiel des ehemaligen DorfFlittchens!“ In Barbaras Augen trat ein harter Ausdruck. Sie erwiderte nichts auf seine Beleidigung, sondern bückte sich, um die Glasscherben aufzusammeln. Dabei lag immer noch ein gequältes Lächeln auf ihren vollen Lippen.
„Was ist los, Barbara? Kannst du etwa woanders nicht mehr genug Männer bekommen? Oder ist dem Dorfmädchen aus den Bergen das Pflaster in der Stadt zu heiß geworden?“ Als Barbara auch jetzt noch nicht antwortete, sondern weiter stumm die restlichen Glasscherben auflas, verlor Marvin die Beherrschung. Mit eisernem Griff packte er sie beim Handgelenk und zog sie unsanft hoch.
„Antworte mir endlich! Warum bist du zurückgekommen?“ Die Glasscherbe, die sie noch in der Hand hielt, bohrte sich tief in die Finger ein.
Aber Barbara fühlte den Schmerz nicht. Sein Benehmen hatte sie so tief getroffen, daß sie nicht einmal bemerkte, wie ihr das Blut über den Arm lief.
Marvin blickte von ihrem versteinerten Gesicht zu dem roten Rinnsal, das zwischen ihren Fingern hervorsickerte. „Verflucht!“ rief er und zog Barbara zum Waschbecken, ohne jedoch seinen Griff um ihren Arm zu lockern. Mit einer schnellen Bewegung drehte er das kalte Wasser an und hielt ihre Hand unter den Strahl, bis das weiße Porzellan rot gesprenkelt war. Barbara war so verwirrt, daß sie nach wie vor die Glasscherbe umklammerte. „Um Himmels willen, Barbara!
Laß doch endlich die Scherbe fallen!“ befahl er, worauf sie die Hand öffnete und das Stück Glas mit leisem Klirren ins Waschbecken fiel.
Schulter an Schulter standen sie vor dem Waschbecken, vermieden es sorgfältig, einander anzusehen. Marvin hielt noch immer ihr Handgelenk fest, während Barbara schockiert auf den Wasserstrahl starrte, der sich im Becken mit ihrem Blut mischte. Endlich drehte Marvin den Wasserhahn zu und wickelte schnell und geschickt ein Geschirrhandtuch um ihre Hand.
„Eine Wundsalbe und ein Verband werden genügen.“ Seine Stimme drang wie durch einen Nebel zu ihr vor. Und dann straffte er die Schultern, um erneut seine alte unnachgiebige Haltung einzunehmen. „Eigentlich ist es mir ganz egal, warum du gekommen bist“, erklärte
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