Das Glück einer Sommernacht
Streichungen und unvollständigen Stellen. Es war weit und breit noch kein vollständiger Roman in Sicht. Der Verleger würde alles andere als begeistert sein.
„Wenn Alex nicht bald ernsthaft loslegt, sitze ich hier womöglich bis Weihnachten fest“, sagte sie zu Puddin’.
Ob Alex wohl Weihnachten feierte? Sie stellte sich Nuttingwood im Winter vor: Draußen tobte der Schneesturm, drinnen war es finster und schmucklos. Der Gedanke, dass Alex an den Feiertagen einsam und allein hier am Fenster saß, tat ihr weh.
Da unterbrach sie sich endgültig.
„Es kann dir doch egal sein, wie Alex Markoff seine Feiertage verbringt!“, sagte sie laut zu sich selbst. Gerade das war ja der Grund, warum sie prinzipiell keine Beziehungen einging. Wenn man sich einem anderen Menschen verbunden fühlte, kam man unweigerlich auf alberne Ideen. Prompt tauchten Traumbilder von einem gemütlichen Heim, von Familie und Familienfesten vor ihrem inneren Auge auf.
„Jetzt reicht’s. Zeit für eine Pause.“ Ihre Gedanken machten sich in letzter Zeit viel zu oft selbstständig.
Draußen auf der Terrasse streckte Puddin’ sich und erhob sich langsam. Kelsey nahm ihren leeren Becher und warf dem Kater durch die offene Terrassentür einen strengen Blick zu.
„Komm bloß nicht auf die Idee, hier hereinzulaufen, während ich mir Kaffee hole“, ermahnte sie ihn. Dabei war ihr völlig klar, dass er nicht auf sie hören würde.
Kaffee war das einzige Gebiet, auf dem sie und Alex sich gleich ohne große Worte verstanden hatten. Offenbar waren sie beide süchtig nach Koffein, und so war die Kanne wie auf stillschweigende Vereinbarung den Tag über frisch gefüllt. Normalerweise kochte Alex die erste Kanne, dann gegen elf war meistens sie an der Reihe.
An diesem Morgen gab es nur ein Problem. Alex hatte die elektrische Kaffeemühle auf das oberste Brett gestellt. Sonst ließ er die Maschine immer auf der Arbeitsplatte stehen, aber heute musste er es vergessen haben.
Sie stellte ihren Becher auf die Theke, zog sich einen Stuhl vom Tisch heran und nahm sich vor, Alex daran zu erinnern, dass nicht jeder Mensch über einsachtzig groß war.
„Sie stehen auf meiner Küchentheke“, sagte Alex hinter ihr.
„Was zum …“
Beinahe hätte sie die Kaffeemühle fallen gelassen. Schlimmer noch, beinahe hätte sie ihren Becher über die Kante gefegt, als sie von der Theke wieder herunter auf den Stuhl stieg.
„Demnächst kaufe ich Ihnen wirklich eine Glocke, damit ich Sie schon von Weitem hören kann!“, rief sie atemlos.
„Mir war nicht klar, dass mein Kommen und Gehen so eine Wirkung auslöst.“
„Das ist nur, weil Sie so lautlos durchs Haus schleichen, dass Sie mir jedes Mal einen Heidenschreck einjagen“, beschwerte sie sich.
Mit der Kaffeemühle in der Hand sprang sie von dem Stuhl und landete sehr dicht vor Alex. Einen endlosen Augenblick lang rührte sich keiner von ihnen, und ihre Blicke hingen ineinander.
Plötzlich bemerkte sie die Bartstoppeln auf seinen Wangen, und ihr wurde bewusst, wie verführerisch seine Lippen aussahen. Ihr Blick wanderte weiter hoch, und sie erkannte, dass Alex sie ebenfalls musterte. Oder bildete sie sich das nur ein? Seine Augen hatten einen seltsamen, beunruhigenden Ausdruck, den sie nie zuvor in ihnen gesehen hatte.
„Ich … ich mache frischen Kaffee“, brachte sie endlich heraus. Es war, als löschte seine Nähe in ihrem Hirn alles andere aus. „Wie geht es Ihrem Kopf?“
Er fuhr sich an die Stirn, als hätte ihre Frage ihn wieder daran erinnert.
Kelsey verspürte den verrückten Drang, ihm selbst die Hand an die Stirn zu legen.
„Besser. Nur noch ein dumpfer Schmerz.“
„Haben Sie irgendetwas gegessen?“, plapperte sie fast verzweifelt weiter. „Ein leerer Magen ist immer schlecht.“
Endlich löste Alex den Bann, indem er einen Schritt zurücktrat.
„Machen Sie sich immer solche Sorgen um anderer Leute Wohlergehen?“, fragte er und öffnete den Kühlschrank. „Oder nur um meines?“
„Hinterfragen Sie anderer Leute Motive immer so?“, entfuhr es ihr.
Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu, und schnell fügte sie hinzu: „Vergessen Sie’s. Tun Sie einfach so, als hätte ich nichts gesagt.“ Dabei lachte sie versöhnlich.
Die Atmosphäre hatte sich etwas entspannt. Erleichtert wandte Kelsey sich wieder ihrem Kaffee zu und füllte sorgfältig Bohnen in die Kaffeemühle. Auf Knopfdruck erfüllte ohrenbetäubendes Rattern die Küche.
„Ich glaube, Sie ahnen gar
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