Das Glück einer Sommernacht
erst recht nicht, wie er Haufen von Teenagern unterrichtete.
„Allerdings habe ich nicht lange unterrichtet. Ich war mehr an meinem eigenen Werk interessiert als daran, jungen Leuten Charles Dickens näherzubringen. Aber das Schreiben von Hand ist geblieben. Man weiß nie, wann einem plötzlich ein Detail oder eine gesuchte Passage einfällt.“ Wieder sah sie fast die Andeutung eines Lächelns. Zumindest glaubte sie einen Schimmer davon zu sehen, bevor der wieder verschwand. „Ich habe einmal eine ganze Kurzgeschichte auf einer Dinner Party geschrieben.“
„Wirklich?“ Ja, so konnte sie sich Alex sofort vorstellen, von seiner Umgebung zurückgezogen, abwesend, vergraben in seine Arbeit.
„Ich habe gestern Ihren letzten Schreibblock fertig abgetippt“, erklärte sie.
„Ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl? Wollen Sie mich daran erinnern, dass Stuart auf sein Buch wartet?“
„Stimmt.“ Sie lächelte.
„Sie klingen wie ein echter Babysitter.“
„Ein Babysitter, den Sie um keinen Preis hierhaben wollten und am liebsten gleich wieder hinausgeworfen hätten“, murmelte sie.
„He.“ Er berührte sie sacht am Arm. Ein Schauer lief ihren Arm hinauf, und sie musste das Lenkrad umklammern, um sich wieder in den Griff zu bekommen. „Als Babysitter sind Sie gar nicht übel. Stuart hätte mir jemand viel Schlimmeren aufzwingen können.“
„Wow.“ Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und sah, dass er es ehrlich meinte.
„Solche Komplimente können einer Frau zu Kopf steigen“, versuchte sie zu scherzen.
„Dann werde ich es mir merken.“
Sie spürte immer noch seine Berührung auf ihrer Haut, obwohl er die Hand längst zurückgezogen hatte. Ein warmes, Vertrauen einflößendes, unendlich angenehmes Gefühl.
Sie räusperte sich. „Da wir uns einig sind, dass ich Ihre offizielle Sklaventreiberin bin, frage ich jetzt direkt: Bekomme ich bald neue Seiten zu Gesicht?“
Alex blickte hinaus in die Landschaft. „Irgendwann schon.“
Seine Antwort klang wenig begeistert. Fast schon mutlos. Jetzt hätte sie ihrerseits ihn gern aufmunternd berührt.
Aber sie hielt sich wohlweislich zurück.
Stattdessen lächelte sie und wechselte das Thema. „Ich versuche nur, ein bisschen vorauszuplanen. Wenn ich weiß, dass ich nichts zu tippen habe, können Puddin’ und ich uns ein bisschen ausgiebiger unserer Sonnenbräune widmen.“
„Puddin’?“ Sie hörte die Erleichterung in seiner Stimme. Er schien ihr dankbar für den Themawechsel zu sein. „Ist Ihr räudiger Kater immer noch da?“
„Er ist nicht mein Kater. Puddin’ ist ein freier Geist.“
„Aber Sie haben ihm einen Namen gegeben.“
„Wie ich Ihnen schon gesagt habe: Jeder verdient eine Identität und ein Zuhause. Es gibt genug anonyme Waisen auf der Welt, die nirgends hingehören.“
„Waise?“
„Streuner, Waise, das ist dasselbe, nicht?“ Kelsey schob sich eine Locke hinters Ohr.
Sie spürte, wie Alex sie aufmerksam ansah. Natürlich machte er sich Gedanken über ihren Versprecher. Aber er fragte nicht nach. Er überließ es ihr selbst, ob sie etwas erklären wollte oder nicht. Weil er sie respektierte. Das war auch etwas, das sie an ihm liebte. Halt, streichen Sie das! Ersetzen durch: Schätzte. Es war etwas, das sie an ihm schätzte.
Liebe passte überhaupt nirgends ins Bild.
Im Krankenhaus blätterte Kelsey sich eine Dreiviertelstunde lang durch Klatschzeitschriften und Verbrauchermagazine, in der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen. Ihre Fantasie schlug Purzelbäume, und immer wieder tauchte ein gewisser düsterer Schriftsteller darin auf. Höchste Zeit, dem wilden Treiben ein Ende zu machen.
Aber sie hatte kein Glück. In der Sekunde, als Alex aus der Tür des Sprechzimmers trat, klopfte ihr Herz schneller. Er war in jeder beliebigen Umgebung ein sehr gut aussehender Mann, aber der Kontrast zwischen der sterilen, weißen Krankenhausatmosphäre und seiner dunklen, männlichen Erscheinung war atemberaubend.
Und sie war keineswegs die Einzige, die das bemerkte. Die Schwestern und die Angestellte am Empfang reckten bei seinem Anblick die Hälse. Kelsey hätte schwören können, dass eine von ihnen sich tatsächlich die Lippen leckte.
Von alldem ungerührt, suchte Alex sie mit dem Blick.
„Doktor Cohen war bei einem anderen Patienten hängen geblieben, und ich musste warten“, sagte er in dem nüchternen, leicht genervten Tonfall, den sie inzwischen so gut kannte.
„Kein Problem“, gab sie zurück. „So konnte ich
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