Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
räusperte er sich. »Aber wie gesagt, im Grunde weiß ich nicht, was es ist. Sie sollten dringend eine Computertomographie durchführen lassen.«
Das Röntgenbild gab er mir mit, und so stand ich mit einem braunen Kuvert vor dem Gesundheitsamt, und es regnete in Strömen. Zwei, drei Tropfen vom Dach platschten auf das Kuvert. Ich schob es unter meinen Pulli.
Am Tag zuvor hatten Andi und ich einen Vertrag im Fitnessstudio unterschrieben. Ob ich Sport treiben durfte? Wir hatten uns so drauf gefreut. Ob ich mich schonen musste? Nein, beschloss ich. Der Arzt wusste es ja selbst nicht, und vielleicht war sein Apparat kaputt oder bloß schlecht gelaunt bei diesem miesen Wetter.
Von dem Arztbesuch erzählte ich Andi zwischen Beinpresse und Langhantel. Ich fühlte mich großartig – denn der Trainer im Fitnessstudio hatte meine kräftige Beinmuskulatur ausdrücklich gelobt, und Andi machte sich einen Spaß daraus, ihn zu imitieren: »Was für eine herrliche, wundervolle Beinmuskulatur. So kräftig. So elegant. Geradezu aristokratisch.«
»Wie redest du denn!«, lachte ich. »Diese Wörter passen gar nicht in deinen Mund rein! Woher hast du die überhaupt?«
»Wir verkaufen seit heute Fürstenbrötchen in der Bäckerei«, erwiderte Andi und spreizte seinen rechten kleinen Finger ab, während er eine imaginäre Teetasse an die gespitzten Lippen führte. Ich wechselte mit einem Lachanfall zum Bauchmuskeltraining.
Zum Internisten begleitete Andi mich. Als wir in die Praxis kamen, war nur der Arzt da – in Hut und Mantel. Er war schon auf dem Heimweg. Die Sprechstundenhilfe hatte mich versehentlich für den nächsten Tag eingetragen.
»Was mach ich denn jetzt, was mach ich jetzt?«, fragte der Arzt und seufzte dann. »Na gut. Wenn Sie schon mal da sind.«
Er zog den Mantel aus und einen weißen Kittel an. Den grünen Filzhut behielt er noch eine Weile auf, bis er sich über ein Waschbecken beugte und mit dem Hut an einem Oberschrank hängenblieb. Alles dauerte ewig, weil er sich in seiner eigenen Praxis nicht auskannte. Die Untersuchung wurde anscheinend sonst von seiner Assistentin durchgeführt, und in ihrer Abwesenheit fand er gar nichts. Ich lag auf der Liege, Andi hielt mir die Hand, der Arzt suchte. Und schon wieder drohte mir ein Piks. Kontrastmittel musste gespritzt werden. Mir war flau – und es kam noch schlimmer. Dreimal setzte der Arzt an, bis er die Vene fand. Das tat höllisch weh. Andis Augen schimmerten feucht. Er machte sich große Sorgen um mich.
»Das wird schon«, tröstete ich ihn.
Dann sollte ich still liegen. Ewigkeiten. Ich dachte nichts Besonderes. Ich war einfach nur genervt von diesem langweiligen Herumliegen.
Wenigstens musste ich diesem Arzt später nicht alles aus der Nase ziehen. Er redete schnell, als müsse er die Langsamkeit seines Kollegen im Gesundheitsamt auf ein für den Ärztestand akzeptables Mittelmaß ausgleichen.
»Nun, ich bin dafür, alles offen anzusprechen. Was anderes hat ja gar keinen Sinn. Aber sicher bin ich nicht. Sie müssen das abklären lassen. Es könnte auch, es tut mir leid, aber ich bin für klare Worte, Krebs sein. Aber das weiß man nicht. Also machen Sie sich bloß nicht verrückt. Im Prinzip kann es alles Mögliche sein. Ich vermute, es ist eine Art Tumor. Nun zur guten Nachricht: Es sieht so aus, als könnte man ohne Komplikationen operieren. Es gibt keine weiteren beunruhigenden Befunde. Das heißt, der Tumor oder was auch immer es ist, befindet sich nur an dieser einen Stelle.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Andi.
»Ich schreibe Ihnen eine Überweisung an einen Kollegen«, sagte der Arzt.
Und wieder saß ich in einem Wartezimmer. Wartezimmer. Wartezimmer. Es ging mir auf die Nerven. Ich fühlte mich gesund und topfit und dachte keine Sekunde daran, dass irgendetwas Dramatisches passieren könnte. Ich freute mich auf meinen bevorstehenden Einsatz an der Rezeption. Mit Andi war ich schon einige Male im Fitnessstudio gewesen. Das Wetter wurde immer besser, mit Marcky erkundeten wir die Umgebung von Schnabelwaid. Ausgehungert kamen wir nach Hause und rannten um die Wette nach oben in unsere Dachgeschosswohnung, wo Andi mich wunderbar verwöhnte. Er kochte mit Leidenschaft, und ich wusste ganz genau, wie Glück schmeckt. Meine Beine waren so kräftig, dass ich Andi glatt die Luft abdrücken konnte, wenn er beim Herumtollen in meine berüchtigte Beinschere geriet. Da half ihm nur noch Kitzeln. Dann musste ich aufgeben.
Ich war alleine
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