Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
meiner Fitness. Es war einfach nur ein lästiger Termin.
An einem grauen Apriltag, an dem es immer wieder regnete, nur selten schaffte es die Sonne, die Wolkendecke zu durchbrechen, suchte ich in den langen grauen Linoleumgängen des Gesundheitsamts Bayreuth nach der richtigen Tür. In diesen Amtsbau drang wohl nie ein Sonnenstrahl, es war genauso öde wie in den Behörden im Osten.
Eine nette Krankenschwester, kaum älter als ich, führte bei mir einen Tuberkulose-Antikörpertest durch. Das Ergebnis würde man kurze Zeit später an meiner Haut ablesen können, erklärte sie mir. Sollte der Test positiv ausfallen, müsste ich im Anschluss zum Röntgen. Wenn nicht, könnte ich nach Hause. Am liebsten wäre ich gleich gegangen, denn ich habe einen Horror vor Nadeln. Ich hasse alles, was in mich reinpikst. In der DDR bestand Impfpflicht in Kindergarten und Schule, und die dicke Krankenschwester, die dafür zuständig war, hantierte mit der Nadel wie mit einem Fleischermesser. Zum Glück arbeitete die Krankenschwester im Bayreuther Gesundheitsamt schnell und präzise. Natürlich beobachtete ich nicht, wie sich die lange spitze Nadel unter meine Haut in eine Vene bohrte. Oder eine Ader? Oder ritzte sie nur? Eigentlich war mir das egal, Hauptsache, es war schnell vorbei.
Da schickte mich die Schwester auch schon nach draußen: »So, Frau Korb, bitte warten Sie kurz, bis das Ergebnis vorliegt.«
Genervt saß ich erneut auf einer harten Holzbank in einem der grauen Linoleumgänge und kramte in meinem Biologieunterricht-Wissen danach, was Tuberkulose eigentlich ist. Irgendwas mit der Lunge. Eine Infektionskrankheit von früher. Gab es Tuberkulose überhaupt noch? Mir fielen dazu nur alte Männer ein, die sich die Bronchien aus dem Leib röchelten. Wahrscheinlich durch Tröpfcheninfektion übertragbar. Solche Tröpfchen sollte ich also besser nicht versprühen – ich könnte die Gäste im Hotel anstecken. Streng genommen müsste jeder Mensch einen Test machen. Wenn die Ansteckungsgefahr so hoch war, konnte ich mich bei den Gästen ebenfalls infizieren. Die Vorstellung von einem vollbesetzten Restaurant mit Mundschutzpflicht amüsierte mich. Aber wie sollten die Gäste dann essen? Und was wollten Andi und ich heute Abend essen? Ich wandte mich den wichtigen Dingen des Lebens zu: Bevor ich nach Hause kam, konnte ich noch einkaufen. Oder war Andi heute dran?
»Frau Korb?«
Ich nickte.
Ein älterer Arzt warf einen langen Blick auf die gepikste Stelle. Dort hatte sich ein roter Kreis gebildet.
»Hm«, machte er.
»Ja?«, fragte ich.
»Sie haben reagiert.«
»Und das heißt?«
»Sie haben Antikörper.«
Komisches Wort eigentlich, Antikörper, kam es mir in den Sinn.
»Und was bedeutet das konkret?«
»Dass wir Sie röntgen müssen. Sind Sie schwanger?«
»Soweit ich weiß, nein.«
Eine halbe Stunde später saß ich im Arztzimmer auf einem Stuhl vor einem Schreibtisch. Der Arzt sah ernster aus als zuvor. Oder bildete ich mir das ein? Zur Hypochondrie habe ich eigentlich kein Talent.
»Also, Frau Korb, es ist so«, er räusperte sich.
»Ja?«
»Ich muss Ihnen da leider etwas sagen.«
Warum ließ er sich alles aus der Nase ziehen? Warum sagte er nicht klar, was los war, damit ich endlich gehen konnte!
»Tuberkulose haben Sie nicht.«
»Was dann?«
»Wir haben auf Ihrem Röntgenbild etwas entdeckt, was da nicht hingehört. Es ist«, er räusperte sich erneut, stand auf, schaltete den Lichtkasten an der Wand ein, wo ein Schwarz-weiß-Porträt meiner Lunge hing, und deutete irgendwohin. »Sehen Sie hier?«
»Ich sehe nichts.«
»Diesen Schatten da.«
Jetzt sah ich vielleicht etwas.
»Was ist das?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Leider weiß ich es nicht. Es könnte eine krankhafte Aussackung der Hauptschlagader sein, ein Aneurysma.«
Das Wort hatte ich schon mal gelesen. Es gehörte nicht zu den Wörtern, die ich mit mir in Verbindung bringen wollte.
»Der Schatten ist ziemlich groß, tomatengroß würde ich sagen«, beschrieb der Arzt.
»Es gibt viele Arten von Tomaten, auch Cocktailtomaten«, wandte ich ein.
»Ja, aber dieser Schatten scheint mir größer zu sein als eine Cocktailtomate, und er hat in Ihrer Lunge nichts zu suchen. Deshalb sollten Sie einen Internisten aufsuchen, um genau abzuklären, was das ist. Am besten, Sie gehen gleich morgen. Mit einem Aneurysma ist nicht zu spaßen.«
»Was kann denn passieren?«
»Es kann platzen. Und, Frau Korb, das kann ganz schnell passieren.« Wieder
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