Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
Vom Netzwerk:
bei dem Arzt, der mir mitteilte, dass ich wahrscheinlich einen Zwilling an meinem Herzen trüge.
    »Wie bitte?«
    »In diesem Wulst an Ihrer Rippe befindet sich auch Knochengewebe. Es kann sein, dass Sie im Mutterleib einen Zwilling hatten, der sich aber nicht weiterentwickelte. Verstehen Sie, wie ich das meine?«
    »Das klingt total verrückt!«
    »Es ist keine einheitliche Masse, es ist Knochengewebe dabei.«
    »Jedenfalls ist es keine ausgedehnte Hauptschlagader?«, erkundigte ich mich.
    »Nein. Zum Glück nicht.«
    Ich war froh, dass ich mich in den letzten Tagen nicht steif ins Bett gelegt und jede Bewegung vermieden hatte aus Angst, das vielleicht vorhandene Aneurysma könnte platzen.
    »Sie sollten das operieren lassen.«
    »Wo?«
    »Entweder hier in Bayreuth im Krankenhaus oder in einer Thorax-Spezialklinik, die auf Oberkörper spezialisiert ist und circa zwei Stunden von Bayreuth entfernt liegt.«
    Spezialklinik klingt gut, dachte ich.

    Als ich meiner Mutter am Telefon von der Zwillingsthese erzählte, regte sie sich fürchterlich über diesen Unsinn auf. Ausnahmsweise waren wir einer Meinung. Eine Ines reicht völlig aus! Mein Vater fand, dass Spezialklinik gut klingen würde. Er zeigte sich kaum beunruhigt über die Sache, was wahrscheinlich daran lag, dass ich selbst nicht beunruhigt war. Gerade so, als ginge es darum, sich eine Warze am kleinen Zeh entfernen zu lassen. Schlimm: nein. Lästig: ja.
    Trotzdem riefen meine Eltern schon am ersten Abend in der Spezialklinik an – allerdings auf der Station, da ich kein Telefon ans Bett bestellt hatte.
    »Frau Korb, das geht so nicht, dass Sie das Schwesternzimmer zur Telefonzentrale umfunktionieren«, erklärte mir eine Schwester.
    »Mutti, du kannst hier nicht mehr anrufen«, gab ich das Verbot weiter.
    »Aber wie kann ich dich erreichen?«
    »Ich kann mir kein Telefon leisten, das ist mir zu teuer.«
    »Du holst dir jetzt sofort einen Anschluss! Das bezahlen wir. Ich will dich jederzeit anrufen können!«
    »Danke, Mutti«, sagte ich froh. Jetzt konnte auch Andi mich anwählen. Super!

Erdbeerzeit
    Ich war 19 Jahre alt, und obwohl ich mich für recht selbstbewusst hielt, kam ich gegen die Übermacht Krankenhaus nicht an. Ich wunderte mich darüber, dass viele Untersuchungen doppelt gemacht wurden, meine Unterlagen zum Teil verschwanden und ich auf einer Station für Lungenkrebs lag, obwohl ich den angeblich nicht hatte. Aber ich nahm das alles irgendwie hin. Hauptsache, ich brachte es schnell hinter mich.
    Doch so schnell ging es nicht, sondern sehr, sehr langsam. Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass die Zeit in Wartezimmern mindestens viermal so langsam vergeht wie außerhalb? Am meisten hatte ich Angst vor der Lungenspiegelung. Ich sollte einen dicken Schlauch schlucken. Eigentlich hätte ich dafür gern eine Narkose gehabt, aber dazu hätte ich noch einen Piks über mich ergehen lassen müssen, und von denen hatte ich mehr als genug.

    Am ersten Wochenende im Krankenhaus besuchten mich meine Eltern und brachten Erdbeeren mit. Gekaufte, für die aus unserem Schrebergarten war es noch zu früh. Andi kam, so oft er konnte, und den Rest der Zeit vertrieb ich mir zum Beispiel damit, andere Patienten am Arm spazieren zu führen – es gab viele sehr schwere Schicksale auf dieser Station, und viele freuten sich, wenn ich ihnen bei Kleinigkeiten half. Das Wetter war herrlich, ich trug keinen Schlafanzug, sondern kurze Röcke und bauchfreie T-Shirts. Am Teich fütterte ich Karpfen. Eigentlich war das hier wie Urlaub. Eine Reha-Maßnahme nach der Rennerei im Hotel.
    Meine zwei Mitbewohnerinnen waren sehr nett. Die eine Dame war 50, die andere 70 und sie bemutterten und »beomaten« mich um die Wette. Das Einzige, was mich nervte, war die nächtliche Schnarcherei. Dagegen half nur Ohropax. Die 70-jährige Frau Baumann sollte viel trinken, vergaß es aber immer, so dass meine andere Bettnachbarin und ich ihr ständig das Wasserglas reichten. Sie ließ sich leicht überlisten, wenn wir ihr versicherten: »Sie haben heute ja noch gar nichts getrunken!«
    Einmal föhnte ich ihr im Bad die Haare und verpasste ihr eine kesse Frisur. Beim Bürsten ihres silbrig glänzenden, erstaunlich dicken Haars, das sie sonst zu einem altertümlichen Dutt hochsteckte, der wie der schiefe Turm von Pisa auf ihrem Kopf prangte, fielen mir die Zöpfe ein, die mir meine Mutter früher jeden Morgen geflochten hatte. In meiner Kindergartengruppe hatte kein Mädchen so lange Haare wie

Weitere Kostenlose Bücher