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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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sich eine Rampe. Spüle und Herd in der Küche waren unterfahrbar, die Oberschränke elektrisch höhenverstellbar. Schränke waren mit Schiebetüren ausgestattet, und das Bett war höher als handelsüblich. Es gab sogar rollstuhlgerechte Teppichböden und einen Wäschetrockner – über diesen Luxus hatte ich noch nie verfügt.
    Doch der Luxus war kein Luxus, sondern bitter nötig, denn Wäsche aufzuhängen – vor allem Bettwäsche – stellt mich vor eine Herausforderung. Ich kann sie weder hochheben noch aufhängen. Sie schleift am Boden oder an den schmutzigen Rollstuhlrädern. T-Shirts und kleine Stücke sind kein Problem, doch ich wollte ja auch hin und wieder die Bettgarnitur wechseln und dazu nicht immer auf Andi warten, auch wenn er mir gerne half.
    Zwar war die Wohnung insgesamt in keinem guten Zustand, doch die Basics stimmten. Ich genoss es, mich selbst – und Andi – zu versorgen. Sehr gerne kochte ich – ein Kinderspiel mit dem unterfahrbaren Herd. Andi und ich hatten unser Dachgeschoss, in dem unsere eigenen Möbel standen, gekündigt und wohnten mit dem überglücklichen Marcky, dessen Rudel wieder vollständig war, in der Startpunktwohnung, bis wir etwas Neues finden würden.
    Von Montag bis Freitag holte mich nun jeden Morgen ein Zivi ab, damit ich meine Reha im Krankenhaus ambulant fortsetzen konnte. Wenn ich aufstand, war Andi schon weg, und wenn ich nach Hause kam, war er da. Das war fast normaler Alltag. Ich wurde immer selbständiger, denn nun musste ich ohne Hilfe in Rufweite allein übersetzen. Es klappte immer besser, obwohl die Couch sehr weich war. Einmal jauchzte ich vor Freude, weil ich mich überhaupt nicht angestrengt hatte, sondern leicht wie eine Feder hinübergeglitten war. Andi, der gerade kochte, schoss mit dem Schneebesen in der Hand um die Ecke und zog eine Teigstraße hinter sich her. Er sah mich sitzen, wusste sofort, was los war, und strahlte mit mir um die Wette.
    Leider fühlte ich mich in der Wohnung nicht richtig wohl. Manche meiner Vorgänger hatten hier eher gehaust als gewohnt und ihre Spuren hinterlassen. Außerdem gehörten die Möbel nicht uns – der Startpunkt war eher eine Ferienwohnung.

    Jasmin befand sich immer noch auf Station, doch wir sahen uns jeden Tag bei der Reha, und am Wochenende besuchte ich sie oft. Zu Beginn kam mir das komisch vor. Gehörte nicht ich in das Bett gegenüber? Ich war so lange hier gewesen und hatte trotz aller Schwierigkeiten viel Schönes und Lustiges erlebt. Das enge Zimmer war zu einem Stück Heimat geworden. Eines Tages lag zu meinem Befremden eine andere Frau in »meinem« Bett. Doch auch daran gewöhnte ich mich, denn ich besuchte Jasmin noch sehr lange: Insgesamt blieb sie eineinhalb Jahre im Krankenhaus.
    Irgendwann im Herbst wartete ich einmal draußen vor dem Krankenhaus auf einen Zivi, der mich nach Hause bringen sollte. Da fiel mein Blick auf den kleinen Hügel, den ich angeblich hochrollen musste, ehe ich entlassen würde. Niemand hatte mich je zu dieser erfundenen Abschlussprüfung gebeten. Sie gehörte zu den Motivationstricks der Therapeuten. Ich drehte mich einmal im Kreis und kontrollierte, ob mich jemand beobachtete. Dann atmete ich tief durch und fuhr an. Lehnte mich nach vorne, um nicht hintenüber zu kippen, und meisterte die erste Serpentine. Und die zweite. Ich fuhr weiter, mein Herz schlug kräftig in meiner Brust. Meine Arme griffen in die Räder, hoch konzentriert, denn die Hände auch bloß ein paar Zentimeter falsch an den Greifreifen gesetzt, würde Schwungverlust und damit erhöhten Krafteinsatz bedeuten. Die dritte Serpentine und die vierte. Was ich mir niemals zugetraut hatte – jetzt hatte ich es geschafft und stand schließlich oben. Mit einem breiten Grinsen rollte ich den Hügel relaxt zurück hinunter.
    »Hey Ines! Wo warst du?«, fragte mich der Zivi.
    »Ich hab den Mount Everest erklommen«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.

    Im Keller des Krankenhauses stand ein VW Golf, auf dessen Polster wohl so manche Träne tropfte – und mancher Fluch, denn hier lernten wir, den Rollstuhl möglichst zügig zu verladen: Räder ab, Rückenlehne nach vorne klappen und das Gestell über uns auf den Beifahrersitz hieven. Der Schweiß floss in Strömen, die Arme zitterten, und neben dem Auto feixte ein Therapeut mit Stoppuhr.
    »Ines, das Limit beträgt zwei Minuten, nicht zwei Stunden!«
    »Der ist so schwer!«, stöhnte ich.
    »Es ist alles eine Frage der Technik!«
    »Das macht ihn auch nicht

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