Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
bemühte mich um Fassung, doch sie bröckelte Stunde um Stunde – Andi kam erst weit nach Mitternacht zurück. Ich war am Boden zerstört. Für mich war das der Anfang vom Ende. Ich wollte nicht verlassen werden! Wenn ich heute über diese Zeit nachdenke, weiß ich nicht, ob meine Liebe zu Andi so tief war, oder ob ich einfach Angst davor hatte, allein zu sein. Sicher ist, dass ich eine Nummer zu groß für Andi war. Ich war ihm von Anfang an überlegen – und habe ihn oft überfordert. Ich befürchte, unsere Beziehung wäre auch ohne Rollstuhl in die Brüche gegangen.
Auf der Heimfahrt in meinem nigelnagelneuen Auto rückte Andi nach und nach damit heraus, dass er nach Freiberg ziehen wollte. Dort sei seine Heimat. Dort fühle er sich wohler als in Bayreuth.
»Aber da kann ich nicht mit!«, rief ich. »Ich habe einen Ausbildungsplatz in Bayreuth. Und dann das Kopfsteinpflaster in Freiberg. Wie stellst du dir das vor?«
Andi zuckte mit den Schultern: »Es ist auch wegen Nelly. Ich könnte sie öfter sehen.«
»Du meinst, du könntest deine Ex öfter sehen?«, giftete ich ihn an.
»Nein, mein Schatz, so ist es nicht«, stritt er ab, doch ich glaubte ihm nicht.
Dienstagabend kehrten wir zurück nach Weidenberg, Mittwoch packte Andi seine Sachen, und Donnerstag war er weg.
Die Rettung
Meine Welt war zusammengebrochen. Ich war allein, gefangen. Ich hatte keine Freunde in der Nähe, und selbst wenn es welche gegeben hätte – wie wäre ich zu ihnen gekommen, ohne Rampe? Ich vermisste Andi wie noch nie in meinem Leben. Aber vermisste ich wirklich ihn? Oder vermisste ich nur den Mann an meiner Seite? Mein Gesicht war verschwollen vom vielen Weinen, und wahrscheinlich war ich innerlich so gut wie ausgetrocknet. Dass da noch immer neue Tränen nachkamen! Auf und ab fuhr ich durch die Wohnung, wie ein gefangener Tiger, allein. Mutterseelenallein. Ich rief meine Eltern an. Die wollten sofort kommen. Ich gab mich stärker, als ich mich fühlte, und wurde dadurch auch stärker, aber es reichte noch lange nicht, um es lebenslänglich ohne Andi auszuhalten. Ich würde nie mehr einen Freund finden.
»Ich kriege nie wieder einen Mann!«, heulte ich an Steffis braunem Lockenkopf. Wahrscheinlich würde sie bald einen Hexenschuss bekommen, denn seit einigen Minuten schon beugte sie sich zu mir runter und versuchte vergeblich, mich zu trösten. Sie war sofort zu mir gefahren, als ich sie angerufen hatte, und ich war ihr noch an der Haustür in die Arme gefallen. Ihre braunen Augen blickten mich kummervoll an.
»Nie wieder kriege ich einen Mann!«, wiederholte ich. »Wer will denn schon was von einer wie mir!«
»Natürlich kriegst du wieder einen Mann!«, behauptete Steffi. Es klang absolut überzeugt.
Ich dachte an Jasmin. »Guck mich an«, hatte sie zu Flo gesagt, »was willst du von mir?«
Ich schämte mich für meine Schwäche und konnte mir trotzdem nicht vorstellen, dass ich noch mal eine Beziehung eingehen würde. Ich ahnte nicht, dass es einfacher ist, sich in einen Menschen im Rollstuhl zu verlieben, als in einen Fußgänger, der später im Rollstuhl landet. Wer sich in eine Rollstuhlfahrerin verliebt, weiß, was auf ihn zukommt. Mit so etwas konnte Andi nie rechnen, als wir ein Paar wurden.
Steffi zeigte sich wie immer schonungslos direkt: »Jetzt hör auf mit dem Quatsch von wegen du kriegst keinen mehr ab. In Wirklichkeit bist du doch nur gekränkt, weil es ein Mann wagt, dich zu verlassen. So was ist dir nämlich noch nicht passiert, hab ich recht?«
Ich starrte sie entgeistert an. Tatsächlich. Da war was dran. Bisher war stets ich diejenige gewesen, die den Schlussstrich gezogen hatte. Das war also die andere Seite. Interessant … und irgendwie auch ganz spannend. Nein, gar nicht spannend, sondern einfach nur schrecklich!
»Ich komm doch allein gar nicht klar«, schrumpfte mein Selbstbewusstsein erneut.
»Irgendetwas wird schon passieren«, prophezeite Steffi.
Ringo passierte. Am nächsten Tag stand er vor der Tür, einfach so. Ich hatte ihn vor Jahren im Tivoli kennengelernt, und seither tauchte er immer mal wieder auf, als wollte er überprüfen, ob ich nun endlich einsehen würde, dass er der Richtige für mich sei. Das fanden zumindest meine Eltern und einige meiner Freundinnen, denn Ringo war eine super Partie. Als Triathlet hatte er nicht nur eine klasse Figur, er sah auch sonst aus wie der Traumschwiegersohn. Ringo war der nette Mann von nebenan: fröhlich, unkompliziert, hilfsbereit –
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