Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
ich.
Sehr gern gingen wir auch ins Kino. Markus trug mich zu meinem Sitz – wie bei unserem ersten Rendezvous. Damals wog ich circa 55 Kilo, aber er schaffte es wie Bruce Willis, ohne dass sich sein Atem auch nur ein bisschen beschleunigte. Allerdings nahm er mich weniger filmreif huckepack, das war für uns beide am angenehmsten. Unangenehm waren die Blicke der Leute: »Wieso trägt der die rein, was hat die?« Nach der Vorstellung warteten wir, bis alle draußen waren, um nicht noch mal aufzufallen. Auch wenn manche meiner Freundinnen meinen, es müsste ein tolles Gefühl sein, getragen zu werden – ich mag das nicht, denn es zeigt mir allzu deutlich, dass ich Hilfe brauche.
Hin und wieder besuchten wir auch ein Musical – wobei ich nach meinem ersten Theaterbesuch geglaubt hatte, das Thema Musical abschließen zu müssen. Man soll niemals nie sagen!
Sitzstreik
Markus’ Trauzeuge Christian und seine Frau Susi fragten uns, ob wir Lust hätten, mit ihnen zum Tanz der Vampire nach Stuttgart zu fahren. Ich war noch nie bei einem Musical gewesen und freute mich sehr darauf. Christian kümmerte sich um die Karten – und sagte bei der Bestellung ausdrücklich, dass einer der vier Sitze für eine Rollstuhlfahrerin bestimmt sei. Freudig teilte er uns mit, dass er super Plätze in der Mitte nahe der Bühne reserviert habe. Doch der Einlassdienst wollte mich nicht auf meinen Platz lassen: »Rollstuhlfahrer dürfen da nicht hin.«
»Moment mal«, mischte Christian sich ein, »ich habe ausdrücklich gesagt, dass …«
»Ja, das mag schon sein. Fakt ist, dass Rollstühle auf den dafür vorgesehenen Plätzen parken müssen.«
»Hören Sie, ich trage meine Frau auf ihren Platz und …«, versuchte es Markus.
Hinter uns bildete sich eine Schlange. Alle starrten mich an. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich wollte nicht auffallen. Ich wollte bloß schnell auf meinen Platz.
»Das geht wegen der feuerpolizeilichen Bestimmungen nicht«, blieb die Frau vom Einlass hartnäckig. Sie war nicht unfreundlich, sie machte einfach nur ihren Job, trotzdem fühlte ich mich wie geohrfeigt.
»Sehen Sie«, wandte sie sich direkt an mich, »wenn etwas passiert, müssen Sie schnell rausgeschoben werden, und deshalb können Sie nicht auf einem normalen Platz sitzen.«
»Aber wer soll mich denn schieben, wenn ich nicht neben meinem Mann sitze? Glauben Sie, ein Wildfremder käme auf die Idee, mir zu helfen, wenn es brennt oder Panik ausbricht? Es gibt keinen sichereren Platz für mich als neben meinem Mann!«
»Es tut mir leid, so sind die Bestimmungen.« Die Frau um die Fünfzig wies irgendwohin. »Da vorne können Sie im Rollstuhl sitzen.«
»Sie meinen, ich soll die ganze Vorstellung über weit weg von meinem Mann im Rollstuhl sitzen?« Entgeistert starrte ich sie an. Woher sollte sie auch wissen, dass dieser Rollstuhl nicht für langes Sitzen geeignet war? Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich meinen bequemeren Rollstuhl mitgenommen, in dem mich Sitzen nicht anstrengt. Dann wäre ich sozusagen in Hausschlappen vorgefahren, nicht in der Stöckelsandalette. Es ist schwierig für mich, ohne Tisch vor mir, auf dem ich mich zur Stabilisierung abstützen kann, länger im »High Heels«-Rollstuhl zu sitzen. Mein Hausschlappenrollstuhl ist hingegen bequem zum Sitzen, aber äußerst unbequem beim Fahren. Mit zwei Rollstühlen im Theater aufkreuzen? Womöglich hätten wir dann einen zweiten Platz bezahlen müssen …
Die Frau vom Einlass war nicht zu erweichen. Sie drehte uns den Rücken zu und kümmerte sich um die Schlange, die sich gebildet hatte. Ich zitterte vor Wut, Empörung, Fassungslosigkeit und konnte es nicht verhindern, dass mir Tränen über das Gesicht liefen. Markus streichelte sie mitfühlend und zärtlich weg, dann hob er mich aus dem Rollstuhl und trug mich zu dem reservierten Platz. Christian und Susi folgten uns.
»Hier gehen wir nicht mehr weg!«, bekräftigte Markus.
Und das mussten wir auch nicht – doch das lag nicht an unserer Hartnäckigkeit, sondern daran, dass der Einlassdienst offensichtlich mit Doppelbelegungen zu kämpfen hatte und völlig überfordert war. Im Lauf der Jahre habe ich mehrfach beobachtet, dass Rollstuhlfahrer, die ebenso stur auf ihren bezahlten Plätzen beharrten, aus dem Theater getragen wurden.
Ich recherchierte und fand heraus, dass es hier um die Einhaltung der Brandschutzverordnung geht. Obwohl ich das im Großen und Ganzen verstehe, war der Abend in Stuttgart
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