Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
hatte auch nicht heiraten wollen. »Ich wünsche mir ein Kind«, sagte ich.
»Na gut«, sagte er zu meiner großen Überraschung. »Aber nur eins.« Verdutzt starrte ich ihn an. Markus grinste, schaute Richtung Schlafzimmer und sagte frech: »Na dann komm!«
Ich setzte die Pille ab, die für eine Rollstuhlfahrerin wegen der erhöhten Thrombosegefahr ohnehin gefährlich ist. Ich ging in die nächste Runde: Will ich wirklich ein Kind, also um des Kindes willen, oder will ich mir nur beweisen, dass ich das auch kann? Mein Wunsch so groß und unbedingt. Und noch eine Runde: Will ich das Kind, weil ich ein Dickkopf bin und nur ungern von meinen Plänen abweiche? Und diese Pläne lauteten nun mal heiraten, Haus bauen, Kinder kriegen. So überlegte ich kreuz und quer und im Kreis, während wir uns doch schon entschieden hatten. Mit Markus sprach ich nie über meine Zweifel. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ihn solche Gedankenspielereien überforderten. Wenn etwas kompliziert wurde, kannte er nach wie vor nur eine Strategie: schweigen. Insofern hätte ich von ihm keine Antwort erhalten – also verschonte ich ihn. Mich nicht.
Wie kann ich das Kind vom Boden aufheben? Wie kann ich es stillen? Was mache ich, wenn es sich verletzt und ich schnell Hilfe brauche? Für jeden Ernstfall und für jede Gefahrensituation fand ich eine Lösung und wurde immer sicherer. Irgendwann begriff ich, dass ich niemals alle Eventualitäten ausschließen könnte. Alles, was ich tun konnte, war, mich darauf einzulassen und so gut wie möglich vorzubereiten. Und das hatte ich längst getan, und Markus auch, auf seine Weise.
Er sagte: »Ich mach mich doch nicht im Voraus verrückt! Wenn es so weit ist, dann werden wir schon sehen.«
Zu seiner Verblüffung war ich damit einverstanden. Er wusste ja nichts von meinen monatelangen Abwägungen. Normalerweise wäre es meine Aufgabe gewesen, ihn darauf hinzuweisen, wie wichtig das gründliche Planen ist, um später nicht von Problemen überrascht zu werden, die man hätte vorhersehen können.
»Nichts kann man vorhersehen«, war Markus überzeugt. Trotzdem fragte er mich nun manchmal, ob ich etwas Wissenswertes herausgefunden hätte bei meiner Internetrecherche nach einer schwangeren Rollstuhlfahrerin. Leider fand ich keine, nur Mütter, die nach der Geburt ihrer Kinder auf den Rollstuhl angewiesen waren. Allzu viel Zeit hatte ich auch nicht, denn nach zwei Monaten fühlten sich meine Brüste irgendwie seltsam an. So gespannt und prall. Auf einmal bekam ich Nasenbluten. Hatte ich nicht irgendwo gelesen, dass das ein Zeichen sein könnte? Nachmittags holte ich mir einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke. Nach dem Abendessen verließ mich die Geduld. Ich konnte unmöglich bis zum Morgenurin warten, ich musste das jetzt sofort wissen.
»Ich bin schwanger«, sagte ich zu Markus.
Er sprang nicht auf und riss mich an sich. Er wirbelte mich nicht durch die Gegend. Er zog keinen Brillantring aus der Tasche. Er entkorkte keinen Champagner. Er hielt mich einfach fest. Ganz, ganz fest und schenkte mir damit alles, was ich mir wünschte. In dieser Nacht machte ich kein Auge zu. Mir ging so viel durch den Kopf – wie das alles werden würde, ob meine Ideen, wie ich das Kind im wahrsten Sinne des Wortes schaukeln würde, auch klappen würden. Das blieb so während der gesamten Schwangerschaft, obwohl in meinem Kopf eigentlich gar kein Platz dafür war, denn in mein Oberstübchen war ein Architekturbüro eingezogen.
Das Traumhaus
Das Saarland ist recht hügelig, deshalb war es schwierig, ein gerades Grundstück zu finden – Voraussetzung für rollstuhlkompatibles Wohnen. Der Hausverwalter unserer Wohnung gab uns einen Tipp, als wir schon fast mutlos waren, weil jedes besichtigte Grundstück irgendeinen Makel hatte. Das kleine Stück Land lag im Bayerischen Kohlhof, wie die Gegend heißt, und war tatsächlich eben. Markus und ich verliebten uns sofort. Der Hausverwalter empfahl uns auch einen Architekten, der zuerst eine Katastrophe zu sein schien und sich später als Glücksfall herausstellte, denn er unterbreitete uns keinerlei Vorschläge. Stattdessen sagte er zu mir: »Mole Se sich’s mal uff, wie Se sich’s vorstelle, dann gucke mea mol.«
Also zeichnete ich und machte mir Gedanken, entwarf und verwarf und sah immer klarer vor mir, was ich wollte. Der Architekt brachte das in einen vernünftigen Maßstab, ich verwarf und entwarf neu – so ging es viele Male hin und
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