Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Gespräch an. Wie zu erwarten, war es das Hotel.
Meine Kollegin verzichtete darauf, mir einen guten Morgen zu wünschen: »Hier ist die Hölle los, komm sofort!«
»Ich habe frei!«
»Ja, so schön möchte ich es auch mal haben! Peter ist krank, ich bin mit den Azubis allein, also komm jetzt sofort!«
»Hör mal, meine Eltern sind da. Das ist jetzt wirklich sehr ungünstig. Bitte versuche, jemand anderen zu finden. Wenn du niemanden findest, ruf noch mal an, dann komme ich.«
Meine Kollegin rief nicht mehr an. Obwohl das eigentlich ein gutes Zeichen war, hatte ich ein mulmiges Gefühl und konnte mich an meinen freien Tagen kaum entspannen. Als ich am Montag meinen Dienst antrat, bekam ich eine Standpauke von meinem Chef. Warum ich meine Kollegen im Stich lassen würde! Warum ich trotz des Notfalls nicht gekommen sei!
Es interessierte ihn nicht, dass er mir selbst freigegeben hatte, und ich dennoch bereit gewesen wäre, einzuspringen, falls sich keine andere Aushilfe hätte finden lassen. Er schrie mich so laut und ungerecht an, dass mir die Tränen kamen. Noch dazu, dass er kaum etwas für meine Arbeitskraft bezahlte. Das Arbeitsamt entlohnte mich. So einen Auftritt musste ich mir nicht bieten lassen! Ich war nicht seine Dienstmagd oder blöd, ich war bloß behindert.
Markus’ Vater brachte mir bei einem Besuch am Wochenende ein Jobangebot für eine Sekretärin mit. Ich stellte mich im saarländischen Wirtschaftsministerium vor und bekam nach einem Test einen Arbeitsvertrag angeboten. Erst danach fiel dem Beamten ein, dass ich mit Rollstuhl vielleicht gar nicht an meinen Arbeitsplatz gelangen würde.
»Hm, hm«, machte er immer wieder und grübelte. Dann ließ er sich sogar einen Plan vom Gebäude kommen, den er ausgiebig studierte. Schließlich fand sich eine Lösung über einen Nebeneingang und ein paar Schleichwege. Die dadurch verlorene Zeit würde ich durch den Parkplatz vor dem Haus locker wieder wettmachen.
Wie durch Zauberei wurde meine Reha noch einmal verlängert, bis ich den neuen Job antreten konnte – sehr entspannt, relaxt und gut gelaunt am 15. Oktober 2001. Dem Hotel weinte ich überhaupt nicht hinterher, obwohl es mir an der Rezeption gut gefallen hatte. Letztlich wogen die netten Gäste das schlechte Betriebsklima nicht auf.
Im Wirtschaftsministerium führte ich nun den altmodischen Titel »Vorzimmerdame«. Ich nahm Telefonate entgegen, vereinbarte Termine, tippte Bescheide und Briefe. Halbtags leistete mir eine Kollegin Gesellschaft. Unser Chef war nicht nur Referatsleiter, sondern auch Geschäftsführer des Science Park Saarbrücken, in dem junge Unternehmen beim Start in die Selbständigkeit unterstützt werden. So erledigte ich auch Aufgaben, die das Ministerium nicht direkt betrafen. Das Telefon klingelte ständig, und die Arbeit machte mir großen Spaß.
»Worum geht es denn?«
»Er ist in einer Besprechung.«
»Moment, ich frag mal nach.«
»Ich stelle durch.«
»Da kann ich Ihnen auch weiterhelfen.«
»Ich werde es notieren, bitte buchstabieren Sie.«
»Ich kümmere mich darum.«
Weniger gern kümmerte ich mich um die Korrespondenz. Am Telefon war ich in meinem Element. Oft fragte ich mich, wie die Leute, mit denen ich telefonierte, wohl aussahen. Ich kannte ja nur die Stimmen. Mit manchen entwickelte sich im Lauf der Zeit ein netter Kontakt.
Mein Vorgesetzter war überaus kompetent und rundum wunderbar. Er war ein Schaffer – so sagt man im Saarland –, wie er im Buche steht. Er kam früh und blieb stets länger als ich. Meine frechen Sprüche nahm er mir nicht übel – ganz im Gegenteil. Verliebt war ich im Übrigen nicht in ihn. Ich konnte ihn einfach gut leiden. Und ich mochte unseren lockeren Tonfall, der den Tag beschwingte. Schnell waren wir ein eingespieltes Team. Wenn er im Vorzimmer stand und das Telefon klingelte, konnte ich, während ich »Guten Tag Herr Schmid« in den Hörer sagte, in seinem Gesicht lesen, ob er das Gespräch annehmen wollte. Je nachdem stellte ich durch oder eben nicht.
»Er ist leider gerade in einer Besprechung. Kann er Sie zurückrufen?«, wählte ich einmal eine beliebte Variante aus dem Repertoire einer Vorzimmerdame.
Kaum hatte ich aufgelegt, verschränkte mein Chef die Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf und sagte mit gespielter Fassungslosigkeit: »Die lügt, ohne rot zu werden!«
Manchmal kam er mit einem niedlich verknitterten Gesicht zu mir: »Frau Korb. Ich habe da so eine … Exceltabelle …«
Dabei
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