Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
für mich eine niederschmetternde Aktion. So sehr hatte ich mich auf die Vorstellung gefreut – und so wenig bekam ich davon mit. Ich wollte auch nicht – wie wir uns vorgenommen hatten – in der Pause mit den anderen ein Glas Champagner trinken und mein schönes neues Kleid ausführen. Ich wollte ganz klein sein und nicht gesehen werden und versteckte mein verweintes Gesicht tief im Sitz.
Heute bin ich mit Musicals versöhnt, und ich habe mir den Tanz der Vampire sogar noch mal angeschaut, und diesmal passte alles, obwohl ich auf einem Rollstuhlplatz saß – in meiner »Hausschlappe«. Immer wieder gibt es solche Momente, in denen es grausam ist, auf den Rollstuhl angewiesen zu sein. Immer wieder aufs Neue muss ich lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen, Erfahrungen zu sammeln und es beim nächsten Mal besser zu machen.
Von der ersten Rate der Versicherung kauften wir nicht nur den Chrysler Voyager, sondern auch ein Handbike. Das Wetter war wunderbar in diesem Sommer, und Markus und ich nutzten jede Gelegenheit, abends an Feldern und Wiesen entlangzupesen – er mit den Rollerblades, ich mit dem Handbike. Wenn er müde wurde, hängte er sich hinten bei mir ein – und ich freute mich über meinen Konditionszuwachs. Schaffte ich zu Beginn nicht mal 10 km/h, erreichte ich am Ende des Sommers locker eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 12 km/h.
Am Hockenheimring trafen sich einmal in der Woche Inlineskater, und die Strecke war auch für Rollstuhlfahrer geöffnet. Klar, dass Markus und ich hier unsere Runden drehten.
Als wir in diesem Jahr mit meinen Eltern in den Urlaub an die Ostsee fuhren, konnte ich nicht genug von den Touren mit Marcky und Sita kriegen. Markus war so begeistert vom Zelten, dass er auch tagsüber gern drinblieb. Mich hielt nichts im Zelt. Ich war ständig unterwegs. Das Handbike ist wie ein Fahrrad für Rollstuhlfahrer, die Arme übernehmen das Treten. Es ist auch geländegängig, und ich konnte mich abseits der Straßen auf Feldwege wagen. In diesem Sommer wuchsen meine Oberarmmuskeln deutlich, für meinen Geschmack zu deutlich, weshalb ich mein Training reduzierte. Schließlich stand das Handbike ganz in der Garage, denn als Markus und ich uns trennten, nahm er den Voyager mit, und ich hatte keinen Platz in meinem kleinen Honda, um das Handbike zu transportieren.
Ich tröstete mich damit, dass dieser Sport auf Dauer nicht gut für mich gewesen wäre. Rollstuhlfahrer haben oft Gelenkprobleme in den Schultern und Ellenbogen, weil sie für alles Hände und Arme benutzen. Arme sind nicht dafür gemacht, den Menschen vorwärtszubewegen. Doch allein deswegen hätte ich nicht mit dem Handbikefahren aufgehört. Phasenweise stricke ich auch gern, obwohl das ebenfalls belastend für meine Gelenke ist. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass mein Handbike da ist. Es steht in der Garage, und ich könnte jederzeit wieder durchstarten!
Der Herzenswunsch
»Kinder kriegen können Sie trotzdem.« Ich dachte oft an die Worte der Ärztin aus dem Krankenhaus, und noch öfter überlegte ich mir, ob ich tatsächlich Kinder haben könnte, auch wenn ich Kinder bekommen könnte. Das Kriegen erschien mir dabei weniger fraglich als das Versorgen. Wie sollte ich das schaffen? Eigentlich hatte ich nur einen Arm, mit dem zweiten musste ich mich selbst festhalten. Wie sollte ich mein Kind vom Boden aufheben, wie sollte ich es wickeln, füttern, ihm Halt geben? Was würde ich tun, wenn mein Kind vor mir über eine starkbefahrene Straße laufen würde? Ich könnte nicht einfach aufstehen, und ich glaubte auch nicht an eine Wunderheilung, bei der die gelähmte Mutter plötzlich aus dem Rollstuhl springt, um ihr Kind zu retten, auch wenn es solche rührenden Szenen in von der Taschentuchindustrie gesponserten Filmen gibt.
Ich überlegte hin und her. Tagelang. Wochenlang. Vor allem nächtelang. Ich ging schwanger mit meinem Kinderwunsch. Ich bewegte ihn in mir. Überprüfte ihn von allen Seiten. Durfte ich das überhaupt? War es egoistisch, einem anderen Menschen eine behinderte Mutter zuzumuten? Aber wenn ich es doch lieben würde, mein Kind, über alles lieben. Ich wollte es nicht in Gefahr bringen, weil ich selbst nicht gut aufpassen könnte. Aufpassen schon. Bloß laufen nicht. So wuchs mein Wunsch und wuchs und war bald stärker als jede Gefahr. Als ich dann merkte, dass mein Wunsch so dick war wie ein neunmonatiger Babybauch, brachte ich ihn vor Markus auf die Welt.
Er wollte kein Kind. Aber er
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