Das Glück ist eine Katze
bestimmt noch.«
Sie zwinkerte ein paarmal mit den Augen. »Ist der Mensch gesund, freut sich die Katz.«
Auf die Schnauze gefallen war sie jedenfalls nicht.
»Milch hab ich nicht im Haus. Wie wär’s mit ein bißchen Sahne?«
Das war ihr noch lieber. Ich verdünnte etwas Sahne mit Wasser, und sie schlabberte das Schüsselchen leer. Zweimal. Ein paar
Hackfleischkügelchen – bestes Rinderhack aus Mutterkuhhaltung – fanden auch noch in ihr Platz. Dann drückte sie zuerst das
Köpfchen an mein Bein, rieb die Flanke daran, schlang den Schwanz leicht um meine Knie und schaute zu mir hinauf. Ich langte
hinunter, streichelte sie, und sie stupste mit dem Kopf gegen meine Hand.
»Ich glaub, ich bleib!« sagte sie, sauste durch die Küche ins Wohnzimmer und fuhr unter den Teppich wie in einen Tunnel, nur
der Kopf guckte heraus.
|22| »Das ist«, kam es aus dem Teppich, mein allerschönster Lebenstag. Und mein allerlebensschönster Tag.«
Auch ich fand, dies sei ein zumindest sehr schöner Lebenstag. Ich holte Stoffeles verwaistes Körbchen vom Speicher und hob
sie hinein.
»Du liegst im seligen Körbchen deines Großvaters. Nein, im Großvater deines seligen Körbchens –« Ich war ein bißchen durcheinander. Und selig war ich auch. Ich holte ein altes, nicht mehr getragenes Schlabberkleid, schön
weich, schön samtblau, und polsterte das Körbchen damit aus. Sie fläzte sich darin herum, fand es bequem und zog auch gleich
einen Faden aus dem Stoff, zog immer weiter und begann, unter lautem Schnurren, das Kleid aufzuziehen.
Was für ein lang entbehrtes, wundervolles, wohltuendes Geräusch. Endlich wieder jemand im Haus, der schnurrt! Die Holzbalken
ächzten und knackten vor Behagen, der Schaukelstuhl schaukelte in wilder Vorfreude, die Kissen auf dem Sofa plusterten sich
auf. Die Welt war wieder in Ordnung. Die Welt schnurrte mit.
|23| Unverhofftes Wiedersehen
Probleme löse ich am liebsten im Schaukelstuhl. Ich saß da, die Katz auf dem Schoß, und überließ mich dem ruhigen Rhythmus:
vor – und zurück – und vor – und wieder zurück –
»Wir brauchen dringend einen Namen. Wer einen Namen hat, der kann nämlich nicht mehr geschlachtet werden.«
Und schon war mein Schoß leer, sie saß mit gesträubtem Fell auf dem Fensterbrett.
»Keine Angst«, beruhigte ich sie, »du bist ja kein Schaf, keine Ziege und kein Huhn. Das mit dem Schlachten hab ich bei Alice
Zuckmayer gelesen. Sie hatte mal eine Farm in den grünen Bergen in Amerika und viele Tiere, die wurden gezüchtet und sollten
verkauft werden und – na ja –, aber die Tiere von Frau Zuckmayer waren schlau, sie guckten immer sehr lieb und schmusten sich ein, dann kriegten sie einen
Namen, und wer einen Namen hatte, der war raus aus dem Schneider. So kamen die Zuckmayers nie auf einen grünen Zweig in ihren
grünen Bergen und hängten schließlich |24| die Züchterei an den Nagel. Kannst wieder herkommen.«
Und schon war sie auf meinem Schoß. »Im lieb Gucken bin ich auch gut.« Sie guckte lieb. Sehr lieb. Sehr, sehr lieb. Ich schmolz
dahin.
»Wie haben sie denn zu dir gesagt, außer Schmuddelkatz?«
»Kleine Hex – der Pfarrer. Oder Miez. Oder Muzz. Oder Mauz – die Milchfrau. Mach mal schneller mit Schaukeln.«
Ich schaukelte schneller und betrachtete sie. Das orangerot getigerte Fell, die grünen Augen, den runden Kopf, die weißen
verrutschten Socken an den Hinterpfoten. Und wurde das Gefühl nicht los, als hätte ich sie schon mal gesehen, vor langer,
sehr langer Zeit, was natürlich unmöglich war, und ich glaube nicht an déjà-vu und ähnlich esoterisches Zeug. »Einen Namen«,
sagte ich, »muß man sich gut überlegen.«
»Ich mag keinen überlegten Namen.« Ihre Schwanzspitze bewegte sich hin und her.
»Ich wollte sagen, jeder hat einen Namen, der zu ihm gehört, und der ist nicht immer der Name, den man ihm gegeben hat. Den
richtigen Namen finden ist Glückssache. Auf einmal ist er da, ist vom Himmel gefallen, ein Vogel hat ihn gepfiffen, ein Wind
ihn hergeweht –«
»Ich will aber selber heißen«, sagte sie selbstbewußt. |25| »Einen eigenen Namen will ich. Ich will nicht heißen wie so ein Mensch.«
Das »wie so ein Mensch« klang nicht gerade hochachtungsvoll. Es war der gleiche Ton, den ich von meinem seligen Stoffele her
gewohnt war, und der Gedanke drängt sich auf, Bewunderung oder Ehrfurcht oder Respekt seien Fremdwörter für eine Katze, wenn
es um ihr
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