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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Tuck
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ist sicher, dass sie sterben wird.
    Schließlich schläft sie ein; da hört sie Klopfen.
    Mein Gott, sagt Philip. Was ist passiert?
    Wie viel Uhr ist es? Draußen dämmert es bereits, es muss ein neuer Tag sein.
    Ich habe in der Galerie angerufen, sie sagten, du bist weder gestern noch heute erschienen.
    Ich war krank, sagt sie. Migräne.
    Sie fühlt sich schwach, aber besser. Das Zimmer ist ungelüftet und riecht nach Erbrochenem. Langsam und vorsichtig schiebt sie die Beine aus dem Bett – Beine, die zu dünn aussehen, um ihr Gewicht zu tragen – und öffnet das Fenster.
    Lass mich ein Bad nehmen, dann mache ich das hier sauber, sagt sie.
    Ich helfe dir, sagt Philip.
    Er lässt ihr das Badewasser ein und passt auf, dass sie nicht ausrutscht, als sie in die Wanne steigt.
    Lehn dich zurück, leg den Kopf auf meinen Arm, sagt er.
    Du wirst ja nass.
    Philip rollt die Hemdsärmel hoch, kniet sich neben die Wanne und wäscht ihr das Erbrochene aus dem Haar.
    Schließ die Augen, entspann dich, sagt er.
    Hast du schon mal überlegt, Krankenpfleger zu werden?, fragt Nina.
    Hast du eine Aura gesehen?, fragt Philip. Wie bei einem epileptischen Anfall, da hat man so etwas.
    Nina hat die Augen geschlossen und hört nur halb zu.
    Da waren ein paar Lichter, vielleicht, antwortet sie.
    Epileptiker galten früher als heilig. Manche Menschen glauben das noch immer. Die Hmong in Laos, zum Beispiel, fährt Philip fort.
    In der warmen Wanne in dem winzigen Badezimmer im sechsten Stock des Hauses in der Rue Sophie-Germain ist Nina, deren Kopf auf Philips Arm ruht, nahe daran, zu erzählen, was ihr im Wald von Chantilly passiert ist, tut es dann aber doch nicht.
    Stattdessen sagt sie: Woher weißt du das?
    Ich kannte mal ein Mädchen, das epileptische Anfälle hatte.
    Nina schlägt die Augen auf. Wen denn?
    Ein Mädchen aus meinem Englischkurs, sie hieß Michelle, antwortet Philip. Sie spielte die Schlafwandelszene nach, in der sich Lady Macbeth das Blut von den Händen wäscht, als sie auf einmal die Augen verdrehte, zu Boden stürzte und zu zucken begann, im ersten Augenblick dachten wir alle, es gehöre zu ihrer Rolle, es wäre Michelles Darstellung von Lady Macbeth, aber das war es natürlich nicht.
    In der Schule in Brüssel habe ich einmal Lady Macbeth gespielt, sagt Nina und erhebt sich.
    Voici l’odeur du sang encore, tous les parfums de l’Arabie ne sera pas adoucir cette petite main , rezitiert sie, reicht Philip die Hand und steigt aus der Wanne. Komisch, wie gut ich mich noch an den Text erinnern kann.
    Deine Hand duftet süß, sie ist nur ein wenig nass, sagt Philip, beugt sich über ihre Hand und küsst sie.
    Nach diesem Erlebnis ist Nina lange Zeit überzeugt, dass ihre Migräneanfälle eine Bestrafung für ihre Lügen sind.
    Der Hund des Nachbarn bellt immer noch – es klingt nun näher. Sie haben ihn wohl aus dem Haus gelassen, damit er das Baby nicht aufweckt.
    Sie denkt an den Hund in Pantelleria – er liegt im Graben, vermutlich überfahren.
    Migraine , so nennt sie die Serie großer, fast monochromer Bilder, in denen sie die Farbe schichtweise aufträgt, verschmiert und auftropft. Die Gemälde nehmen den größten Teil der Wand in ihrem Atelier ein und sind ganz anders als alles, was sie bisher gemacht hat.
    Ein Experiment, sagt sie zu Philip, als sie ihm die Bilder zeigt.
    Interessant, aber beunruhigend, sagt er.
    Für sie bedeutet das, dass sie ihm nicht gefallen.
    Während sie mit Louise schwanger ist, hat sie keinen einzigen Migräneanfall.
    Auch darin sieht sie ein Zeichen.
    Nach der Geburt von Louise kommt die Migräne allerdings wieder, schlimmer als zuvor.
    Inzwischen nimmt sie Medikamente dagegen.
    Als sich an diesem Nachmittag das bekannte Lichtflimmern und der leichte klopfende Schmerz in ihrem Kopf einstellen, verlässt sie das Atelier und setzt sich eine Spritze, dann legt sie sich aufs Sofa im Wohnzimmer. Das Sofa ist abgenutzt, das Muster, ein altmodischer Chintz, verblichen. Sie will es schon seit langem neu beziehen lassen, geht es aber nie an. Irgendwie scheut sie sich vor Veränderungen, und Philip scheint gar nicht zu bemerken, wie schäbig manche ihrer Möbel – sie stammen noch aus der Anfangszeit ihrer Ehe – inzwischen geworden sind, vielleicht ist es ihm auch egal. Die Vorhänge im Wohnzimmer, denkt sie, kurz bevor sie einschläft, müssten auch erneuert werden. Der Stoff ist von der Sonne schon ganz verblichen.
    Als sie wieder aufwacht, ist der Kopfschmerz weg. Erleichtert bleibt sie

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