Das Glück mit dir (German Edition)
sieht Nina die hübsche junge blonde Frau, die im Schaufenster Perlen auffädelte, nie wieder.
Wenn sie jetzt daran zurückdenkt, erinnert sie die junge, hübsche, blonde Perlenauffädlerin an Iris.
Verborgen unter den Zweigen der Trauerweiden im Parc Montsouris sitzt sie mit Philip auf einer Decke, vor sich ihr Picknick ausgebreitet. Kaum dass sie fertig gegessen haben, legen sie sich hin und Philip fängt an, sie zu küssen. Küsse, die nach Rotwein schmecken. Lange, ausdauernde Küsse – seine Zunge dringt tief in ihren Mund und erforscht ihn, bis ihr der Atem wegbleibt.
Moment, sagt sie und schiebt ihn weg, ich bekomme keine Luft.
Philip greift nach der Flasche und trinkt noch mehr Wein.
Nina nickt geistesabwesend vor sich hin und nimmt noch einen Schluck Wein. Sie hält das Glas hoch und sieht, dass es fast leer ist.
Sie seufzt.
In ihrem Versteck unter den herabhängenden Zweigen der Weide kann niemand ihren hochgeschobenen Rock und seine heruntergelassene Hose sehen. Sie hört, wie sich ein Paar auf einer Bank ganz in der Nähe streitet, ein Kind fährt auf einem Fahrrad vorbei, ein Kinderwagen wird vorbeigeschoben. Philip drückt seinen Kopf gegen ihren und seine Lippen in ihre Halsbeuge und in ihr Haar, um die Laute zu ersticken, die er von sich gibt. Als sie einmal nach oben sieht, hört sie einen Vogel, der laute Alarmrufe zwitschert.
Sie erinnert sich an den Kater.
Lautlos taucht eine dürre, einäugige weiße Katze – faltige rosa Haut ist über das eine Auge gewachsen –zwischen den Zweigen der Bäume auf, als sie beim Picknick sitzen. Nina wirft ihr Brocken ihres Schinkensandwiches hin.
Den werden wir nicht mehr los, sagt Philip. Lass das besser.
Der Ärmste, er sieht hungrig aus, sagt Nina. Wenn wir doch nur ein bisschen Milch hätten.
Er sieht krank aus, sagt Philip. Fass ihn bloß nicht an.
Aber Nina steht auf und geht mit ausgestreckter Hand auf die Katze zu.
Komm, miez, komm, miez, miez.
Der Kater dreht sich um und rennt davon.
Später, als Nina die Decke ausschüttelt und Philip die Verpackungen und die leere Weinflasche einsammelt, ist der Kater wieder da.
Den Schwanz in die Höhe gereckt, kommt er auf Nina zu und reibt sich an ihren Beinen.
Sie beugt sich hinunter und streichelt ihn. Was ist denn mit deinem Auge passiert?, fragt sie. Ich sollte dich mit nach Hause nehmen, sagt sie auch.
Da war doch noch was mit einer Katze.
Etwas, das sie nie richtig versteht.
Erklär es mir noch einmal, flüstert sie Philip zu.
Diesmal werde ich versuchen, es zu verstehen, versprochen.
Das Experiment soll veranschaulichen, dass man Alltagsgegenstände nicht mit Quantenmechanik beschreiben kann. Wenn man eine lebendige Katze in eine Kiste einsperrt …
Eine lebendige Katze? Wie grausam.
Nein, ich habe doch gesagt, es ist ein Gedankenexperiment – wenn man also eine bloß vorgestellte Katze in eine Kiste steckt, in der sich eine bloß vorgestellte kleine Menge radioaktives Material befindet, so wenig, dass im Laufe einer Stunde vielleicht, vielleicht aber auch nicht, ein Atom dieses Materials zerfällt und ein Teilchen von sich schleudert, das ein Hämmerchen auslöst, das einen Glasbehälter mit Blausäure zertrümmert, dessen Dämpfe sich dann in der Kiste ausbreiten und die Katze töten …
Aber ich verstehe nicht, wie …
Nina, lass mich zu Ende reden, sagt Philip ein wenig zu scharf.
Schrödinger wollte damit zeigen, dass das Schicksal der Katze von einem winzigen Ereignis abhängt, das seinerseits wieder vom unvorhersehbaren Verhalten von Teilchen abhängt. Das Verhalten von Atomteilchen kann nicht durch Gesetze dargestellt werden, wie wir sie kennen, es wird durch Wahrscheinlichkeiten beschrieben. Man kann sie nicht festnageln, man kann nur sagen, dass sie sich in diesem oder jenem Zustand befinden könnten. Jedem dieser Zustände ist etwas zugeordnet, was man probabilistische Wellenfunktion nennt, und das Verständnis probabilistischer Wellenfunktionen ist der Schlüssel zum Verständnis der Quantenmechnik. Kannst du mir bis hierher folgen?
Nein, eigentlich nicht. Ich verstehe nicht, was du mit probabilistischer Wellenfunktion meinst.
Da bist du in guter Gesellschaft. Das versteht niemand so richtig.
Meinst du das ernst?
Probabilistische Wellenfunktionen kann man nicht im normalen Sinn verstehen, weil sie sich dem logischen Verständnis entziehen. Sie ergeben bloß in mathematischer Betrachtungsweise einen Sinn.
Aber zurück zur Katze, fährt Philip fort. Solange
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