Das Glück trägt Cowboystiefel: Eine wahre Liebesgeschichte (German Edition)
ich.
Ich war mir sicher, dass er mich am nächsten Morgen anrufen würde, vielleicht um 9.34 Uhr. Die Stadt war nicht besonders groß, er konnte mich also ausfindig machen, wenn er wollte. Aber er rief nicht an. Nicht um 11.13 Uhr, nicht um 14.49 Uhr, auch nicht zu irgendeiner anderen Uhrzeit an jenem Tag, in jener Woche oder in jenem Monat. Wann immer ich mir während dieser Zeit erlaubte, an seine Augen zu denken, an seine muskulösen Oberarme, an die zurückhaltende, ruhige Art, die ihn so stark von all den dummen Stadtjungs unterschied, mit denen ich mich in den vergangenen Jahren abgegeben hatte, stieg Enttäuschung in mir auf. Eigentlich war es sowieso egal, sagte ich mir. Ich wollte nach Chicago. In eine neue Stadt. In ein neues Leben. Es war total sinnlos, jetzt mit jemandem von hier etwas anzufangen, und dann auch noch mit einem frühzeitig ergrauten Cowboy in Wrangler-Jeans. Cowboys reiten schließlich auf Pferden, tragen Halstücher, pinkeln im Freien und schnitzen Holz. Sie nennen ihre Kinder Dolly und Travis und hören Countrymusic.
Sprich: das absolute Gegenteil von mir.
Sechs Monate vorher saß ich mit J in einer Sushi-Bar und teilte ihm mit, dass ich Los Angeles verlassen würde: »Ich fahr jetzt erst mal zu meinen Eltern, ich brauche einen Boxenstopp.« Nervös probierte er seinen Seeigel.
Ich hatte sechs Jahre in L.A. gelebt und vier davon mit ihm verbracht. Als Erstsemester war ich in diese riesengroße Metropole gekommen und hatte in den folgenden Jahren alles in mich aufgesogen, was sie in kulinarischer Hinsicht, an Shopping-Möglichkeiten und sonstigen städtischen Annehmlichkeiten zu bieten hatte. Da ich aus dem eher ruhigen Mittleren Westen stammte, kam ich mir vor wie im Schlaraffenland. Die vier Jahre, die ich an der University of Southern California studierte, standen nicht nur im Zeichen von Seminaren, Prüfungen und Hausarbeiten, sondern auch von zufälligen Begegnungen mit Stars, leckerem Essen und Jungs. Ich hatte schon alles erlebt – ich hatte auf dem Sunset Strip gefeiert, Sean Penn mit Madonna im Kino gesehen, James Garner im Fahrstuhl geküsst und die Unruhen nach dem Urteil im Rodney-King-Prozess überlebt. Und seltsamerweise wusste ich plötzlich an jenem Abend, als ich mit J in der Sushi-Bar saß, dass ich genug hatte.
Nicht von Los Angeles. Sondern von J.
Der süße südkalifornische Surfer-Typ, der mir gegenübersaß, hatte keine Ahnung, dass es ein Amerika östlich der Mojave-Wüste gab. Seit dem College waren wir unzertrennlich gewesen, doch jetzt, vier Jahre später, verkündete ich zwischen Gurken-Maki und Tamago, dass ich Los Angeles verlassen und nach Hause fahren würde, anstatt ihm nach San Francisco zu folgen, wo er eine Woche zuvor einen neuen Job als Ingenieur angenommen hatte. Er hatte zugesagt, weil es für ihn eine tolle Chance war, außerdem war er davon ausgegangen, dass ich mitkommen würde; das schien der nächste logische Schritt für ein Paar zu sein, das seit vier Jahren zusammen war. Zuerst hatte ich das auch gewollt. Doch in der Woche nach seiner Zusage hatte ich das Gefühl, mein gesunder Menschenverstand würde mich heftig an den Schultern rütteln.
Ich wollte nicht länger in Kalifornien leben. Ich wollte nicht länger mit J zusammen sein. Ich wollte weg. Es hatte damit angefangen, dass ich eine schwache Sehnsucht nach meinem alten Leben verspürt hatte, die immer stärker geworden war, und als J seinen neuen Job annahm, war ich mir ganz sicher, dass ich zurück in den Mittleren Westen wollte. Vielleicht nach Chicago. Das wäre näher dran an zu Hause – ich bräuchte nicht einen ganzen Tag mit ein- oder zweimal Umsteigen, sondern es wäre nur ein kurzer Flug. Ich wollte wieder näher bei meiner Familie, bei meinen Freunden sein.
Außerdem passte das Klima besser zu meiner Gesichtsfarbe.
Vor allem aber wollte ich raus aus dem Würgegriff einer Beziehung, die in eine Sackgasse münden würde, wie es im Buche steht. Wenn ich jetzt nicht ging, würde es bloß noch schwieriger werden.
»Ich komme nicht mit«, verkündete ich. »Es fühlt sich einfach nicht richtig an«, sagte ich, und dann ging es weiter mit abgeschmackten Sprüchen:
»Ich kann nicht einfach so mit dir kommen.«
»Ich muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.«
»Ich weiß gar nicht, warum ich eigentlich noch hier bin.«
Aus meinem Mund kam ein jämmerliches Klischee nach dem anderen, zäh wie die Wasabi-Paste, die ich in meine Sojasoße rührte. Es war grässlich,
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