Das Glück trägt Cowboystiefel: Eine wahre Liebesgeschichte (German Edition)
lebte. J war in Orange County geboren, in Newport Beach, und hatte seine gesamte Kindheit dort verbracht, und durch ihn (und seine Eltern) hatte ich fern meiner eigenen Heimat ein gemütliches, sicheres zweites Zuhause gehabt. Ich wusste, wen ich am Wochenende besuchen konnte, wenn der USC-Campus einer Geisterstadt glich; ich hatte eine Familie, die sich immer freute, wenn ich vorbeikam; ich hatte einen Ort, der mir vertraut war. Es war bequem. Einfach.
Dann rief J wieder häufiger an und drängte mich, nach Kalifornien zurückzukehren – ich wusste, dass ich das nicht tun würde, hatte aber nicht den Mut, ihm das klipp und klar zu sagen. Mein Umzug nach Chicago war ein guter Anlass dafür, ich musste J also noch ein bisschen hinhalten, bis ich ihm die Neuigkeit eröffnen würde. J aber wollte wieder mit mir zusammen sein, er meinte, wir müssten bloß ein bisschen an uns arbeiten. Darauf hinarbeiten, irgendwann zu heiraten. An dem Wort »arbeiten« in diesem Zusammenhang stimmte irgendwas nicht, fand ich. Aber J ließ nicht locker: Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte alles wieder so werden sollen wie früher. Als ich noch in Kalifornien war. Als ich noch ganz und gar ihm gehörte.
Doch ich war über J hinweg. Meine Verabredungen mit all den unterschiedlichen Typen in den vergangenen Monaten hatten mir gezeigt, dass ich überhaupt noch nicht bereit war, sesshaft zu werden, und dass jegliche Leidenschaft, die ich vielleicht im ersten Jahr unserer Beziehung für J empfunden haben mochte, schon vor langer Zeit durch den Wunsch nach Stabilität ersetzt worden war, die mir während meiner Jahre in Los Angeles gefehlt hatte – denn die Stadt konnte trotz der vielen Partys, der unzähligen Geschäfte und des allnächtlichen Glamours manchmal ein schrecklich einsamer Ort sein.
Ein paar Tage vor der Hochzeit meines Bruders beschloss ich, dass der richtige Augenblick gekommen war. Teils aus Feigheit und teils weil ich wusste, dass ich es am Telefon niemals herausbringen könnte, schrieb ich J einen langen, rührseligen Brief. Darin lud ich ihn von unserer Familienfeier aus, zu der er eigentlich hatte kommen wollen, und beschönigte all die Gründe, warum ich der Meinung war, dass wir endgültig Schluss machen sollten. Zu meiner Überraschung war er einverstanden, nicht zur Hochzeit zu erscheinen, doch er wich beunruhigenderweise jedem weiteren Gespräch über unsere Beziehung aus. »Dann kommst du einfach in ein paar Wochen zurück?«, sagte er. Ich war mir nicht sicher, ob er begriffen hatte, was in meinem Brief stand. Aber so war es in meiner Beziehung mit J immer gewesen: Wir hatten nie gut miteinander reden können.
Zur Hochzeit meines Bruders ging ich mit Walrus, dem besten Freund meines Bruders aus Connecticut. Walrus mit seiner Brille und seiner lieben, lustigen Art war genau der Richtige, um mich an jenem Wochenende abzulenken und aufzumuntern. Währenddessen jammerte meine Schwester Betsy herum und ärgerte sich, dass sie noch im ersten Semester am College war, also zu jung, um mit einem Siebenundzwanzigjährigen auszugehen. Walrus war wirklich total niedlich, wir hingen die ganze Zeit wie Kletten aneinander. Beim Probeessen saßen wir zusammen, und auf der anschließenden Party alberten wir herum. Dann machten wir die halbe Nacht durch, unterhielten uns, tranken Bier und taten nichts, was einer von uns beiden später hätte bereuen müssen. Während der Trauung selbst lächelte Walrus mir zu und zwinkerte. Ich lächelte zurück, denn ich fühlte mich frei und war ganz aus dem Häuschen wegen Chicago, freute mich auf meine Freiheit und auf meine Zukunft.
Walrus war genau die richtige Medizin, wenn auch nur für zwei Tage. Er war der perfekte Begleiter für ein Wochenende. Nach dem Empfang gab er mir einen Gutenachtkuss und sagte: »Bis zur nächsten Hochzeit.« Als alle Festlichkeiten vorüber waren, mein Bruder mit seiner neuen Frau nach Hawaii abgereist war und am späten Sonntagnachmittag mein Telefon klingelte, war ich mir deshalb sicher, dass es Walrus sein musste. Wahrscheinlich rief er vom Flughafen aus an, um sich zu verabschieden oder um noch mal zu betonen, wie viel Spaß ihm das Wochenende mit mir gemacht hätte.
»Hallo?«, meldete ich mich.
»Hallo … Ree?«, sagte eine dunkle männliche Stimme am anderen Ende.
»Hey, Walrus!«, rief ich erfreut. Danach blieb es eine Zeitlang still.
»Walrus?«, wiederholte ich.
Da war sie wieder, diese tiefe Stimme: »Du erinnerst dich vielleicht
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