Das Glück wartet in Virgin River
Ursulas Tisch war so reichhaltig und köstlich, dass Clay sich immer wieder wunderte, weshalb niemand aus der Familie dick war. Zunächst wurde eine sämige Gemüsesuppe serviert, dann Brathähnchen, die mit Öl und irgendwelchen Kräutern eingerieben waren und ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Als Beilage gab es einen Kartoffel-Käse-auflauf, der mit kross gebratenem Bacon belegt war, gebratenes Gemüse wie gewürzte Paprika und Zwiebeln, Spargel, fein geschnittenen jungen gelben Kürbis und frisches süßes Brot.
„Aah! Wenn ihr mich alle weiter so füttert, werde ich anfangen müssen, jeden Tag zu trainieren!“
„Hast du denn im Los Angeles County nicht gut gegessen?“, fragte Ursula.
„Allein habe ich mir immer nur das gemacht, was ich schnell zusammenwerfen konnte, und ich bin sehr faul. Wenn ich bei Isabel eingeladen war, hat ihr Koch immer nur kleine Häppchen von irgendwelchen komisch aussehenden Sachen serviert, weilIsabel ständig um ihr Gewicht besorgt war. Also lautet die Antwort: Nein, ich habe nicht gut gegessen!“
Einen Augenblick herrschte Schweigen, bevor Ursula fragte: „Wie geht es Isabel?“
In einem bewusst aufrichtigen Tonfall antwortete er: „Es geht ihr gut, Ursula. Ihr Leben hat sich kaum verändert. Sie war diejenige, die die Scheidung brauchte. Die Ehe war nicht gut für sie. Dafür hatte ich volles Verständnis.“
Ein weiterer Moment des Schweigens. „Ich glaube, dass du hier besser aufgehoben bist“, sagte Ursula schließlich.
Er grinste seine Schwester an. „Da hast du recht. Ich bin ganz begeistert von Nathaniels Plänen. Und es tut gut, Verwandte in der Nähe zu haben.“ Er holte tief Luft. „Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Wäre es dir lieber, wenn wir das persönlich besprechen?“
„Ist es etwa Obszönes?“, fragte sie zurück.
Er schluckte. „Ich möchte Gabe hierherholen. Ich wünschte, er könnte bei mir wohnen, aber in meiner momentanen Unterkunft ist das nicht möglich. Deshalb frage ich mich, ob er vielleicht bei euch unterkommen könnte. Dann hätte ich wenigstens Gelegenheit, ihn jeden Tag zu sehen. Ich will, dass er in seinem letzten Schuljahr dieselbe Highschool besucht wie deine Kinder, und falls er Interesse hat, will ich anfangen, ihn als Hufschmied auszubilden. Aber viel wichtiger ist mir, dass er bei zwei Menschen lebt, die einen Beruf ausüben, für den ein College-Abschluss notwendig ist, und die seine Cousins ermutigt haben, zum College zu gehen.“ Er wandte kurz den Blick ab, dann sah er seine Schwester und seinen Schwager wieder an. „Es wird Zeit. Wenn es nicht schon zu spät ist. Ich hoffe, ich habe nicht zu lange damit gewartet.“
Über den Tisch hinweg legte Ursula ihre Hand auf seine. „Du weißt doch, nichts könnte mich glücklicher machen.“
Laut und streng erhob Lincoln die Stimme und dröhnte über den Tisch: „Der Junge wird hier aufblühen, obwohl er ein Navajo ist.“
Die ganze Familie lachte leise und respektvoll. Zwischen denCherokees und den Navajos herrschte zwar kein böses Blut, aber beide Stämme hielten sich für etwas weiterentwickelt, weiser und stärker als den anderen.
„Das glaube ich auch, Sir. Danke für die einladende Bemerkung. Ich weiß, dass meine Eltern, Tanten und Onkel ihn gut erzogen haben, während ich versucht habe, mir ein Leben aufzubauen. Aber jetzt habe ich vor, langfristig hierzubleiben, und würde liebend gern endlich eine normale Vater-Sohn-Beziehung mit Gabe aufbauen. Bisher habe ich einfach nie genügend Zeit mit ihm verbracht.“
„Du warst jung, Clay. Und du warst ein guter Vater für Gabe. Er hat nicht gelitten. Er hatte gute Vorbilder, wurde mit Liebe erzogen und ist mit allen Annehmlichkeiten aufgewachsen.“
Clay sah seine Schwester an und flüsterte: „Danke, Ursula.“
„Nein“, erwiderte sie. „Ich danke dir ! Ich liebe diesen Jungen.“
Nachdem sie noch Kaffee und einen unglaublich leckeren Kuchen genossen hatten, begleitete Ursula ihren Bruder sehr viel später zu seinem Truck. „Du weißt, ich meine es so, wie ich es sage. Ich freue mich sehr, dass du hier bist, und hoffe, dass es das Richtige für dich ist. Ich will, dass du in der Nähe wohnst und glücklich bist. Und ich will auch, dass du endlich mit deinem Sohn so leben kannst, wie du es dir wünschst.“
„Ich glaube, so wird es sein“, sagte er und dachte dabei: Was ich mir wirklich wünsche, ist ein Leben, wie du es hast. Das Leben, das ich mir immer vorgestellt habe – eine
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