Das Gluecksarmband
hinten, um einen weiteren Karton auszupacken und einen Blick auf das geheimnisvolle Armband zu werfen. Sobald sie einen freien Moment hatte, wollte sie bei UPS anrufen, aber es wurde Mittag, und sie hatte immer noch eine Menge zu tun, und drei weitere Kartons warteten.
Ach, die würden eben noch ein bisschen warten müssen, dachte Molly. Sie hängte das Schild «Bin in 30 Minuten zurück» an die Tür, und stürzte mit einem Teil der neu hereingekommenen Kleidungsstücke zur Reinigung. Diese befand sich gleich um die Ecke an der Sixth Street. Wie immer stand Thuma hinter der Theke auf ihrem Posten. Sie schlürfte Suppe aus einem Pappgefäß.
«Machen Sie denn nie Mittagspause?», begrüßte Molly sie. Behutsam legte sie die Kleidungsstücke auf die Theke.
«Wie denn? Wo Carole und Sie doch alle naselang hier reinkommen?» Das war typisch Thuma, zickig bis zum Gehtnichtmehr. Molly wusste kaum etwas über sie, außer dass sie vor zehn Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen war. Thuma war eine slawische Schönheit, von der Art, wie sie oft die Titelseiten der Illustrierten schmückten. Sie trug zu viel Schmuck und zu viel Make-up und strich ihr kurzgeschnittenes Haar immer glatt zurück. Molly nahm zwar nie Rauchgeruch an ihr wahr, doch sie sah die Nikotinflecken auf ihren Händen.
Weil sie so wenig über Thumas Vergangenheit wussten, dachte Molly sich für Carole wilde Geschichten über sie aus. Zum Beispiel, dass sie Burlesque-Tänzerin in Las Vegas gewesen und vor dem Mob geflohen war, weil sie zu viel wusste, oder dass sie, ganz im Stil von Bonnie und Clyde, mit dem Mann, der sie in die USA gebracht hatte, Banken ausgeraubt hatte – was auch der Grund war, weswegen sie sich andauernd umschaute.
Natürlich war es viel wahrscheinlicher, dass Thuma sich so oft umdrehte, um sicherzugehen, dass der Dampfkessel nicht zu heiß wurde.
Aber Molly konnte nicht anders: Sie hatte eine lebhafte Phantasie und liebte Krimis und Liebesgeschichten, insbesondere, wenn beides zusammenkam. Deswegen war ihr Job im
Secret
Wardrobe
so ideal für sie.
Thumas Kunden taten Molly allerdings ein bisschen leid. Thuma wusste alles über sie: Wer den Partner betrog, wer zu viel trank oder zu viel aß, wer den Job wechselte, wer Pleite machte und wer mit Drogen handelte – das konnte sie aus den Gerüchen und den Flecken in Jacken und Kleidern ableiten, aus den Marken, die ihre Kunden trugen, und aus zusammengeknüllten Zetteln und Quittungen, die sie in den Taschen vergaßen.
Ärgerlich stand sie von ihrem Hocker auf und glättete mit den Händen die Kleidungsstücke die Molly mitgebracht hatte. «Hmm, schön. Ist Mata Hari gestorben?»
Molly lachte. «Ja, die sind wirklich ein bisschen knallig.»
«Finden Sie?» Thuma zog eine der goldenen Blusen aus dem Stapel. «Die hier wird nicht einfach. Sehen Sie, wie dünn sie schon ist?» Sie schob die Hand unter die Bluse und betrachtete das fadenscheinige Lamé.
«Vielleicht ist sie so abgetragen, weil sie einer Edelnutte gehört hat», meinte Molly.
Thuma beugte sich über die Bluse und schnupperte daran. Sie war die einzige Person, die sich für die Geschichte der Kleidungsstücke genauso brennend interessierte wie Molly.
«Riechen Sie mal.» Thuma wedelte mit der Bluse unter Mollys Nase herum. Molly tat ihr den Gefallen, ohne zu wissen, worauf Thuma hinauswollte.
«Okay … Parfüm, Rose und … Bergamotte vielleicht?»
«Ja, das ist kein Nuttenparfüm. Das war eine verklemmte Lady mit Geld und Arthritis.» Thuma hielt die Bluse hoch und schaute sie bekümmert an. «Die arme Frau, vielleicht hat sie gedacht, sie würde sich darin jung fühlen.»
Sie griff nach ihrem Quittungsblock, kritzelte für jedes Kleidungsstück eine kurze Beschreibung darauf und reichte Molly den Zettel. «Okay, morgen um diese Zeit, ja?»
Molly nickte. Sie wusste, dass sie damit entlassen war, und winkte zum Abschied, als sie die Reinigung verließ.
Als Nächstes betrat sie das koreanische Deli nebenan und bestellte Kürbissuppe und knuspriges Brot zum Mitnehmen. Während sie an der Theke wartete, schaute sie ungeduldig auf die Uhr. Sie hatte nur noch zehn Minuten zum Essen, und die Schnarchnase vor ihr konnte das Portemonnaie nicht finden. Typisch. Molly musterte den tadellosen mitternachtsschwarzen Maßanzug und die nagelneuen Schuhe von Bruno Magli, die ihr Vordermann trug. Bestimmt so ein Wall-Street-Typ.
Zurück im
Secret Wardrobe
platzierte Molly ihr Mittagessen mit einer Stoffserviette als
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