Das Glücksbüro
jetzt, wo er sich nicht drehte, wo er reglos zwischen ihm und der Welt da draußen lag, überkam Albert große Furcht. Würde der Zauber auch bei ihm funktionieren? Oder würde die Drehtür merken, dass etwas nicht stimmte? Würde sie bemerken, dass er kein Teil der Schlange war? Dass es für ihn da draußen gar kein Leben gab, in das er entlassen werden konnte?
Ratlos und blass stand er im Foyer und blickte auf die Drehtür.
Um ihn herum hatten Handwerker damit begonnen, das Foyer mit Planen und Malerdecken auszulegen. Direktor Sommerfeldt, sonst für ein strenges, um nicht zu sagen spartanisches Regiment bekannt, hatte dem Eingangsbereich eine Frischkur verordnet: Er wollte seinem Nachfolger ein geordnetes Haus übergeben – mit einem neuen Anstrich. Die Männer arbeiteten rasch und konzentriert und so achtete niemand auf Albert oder ahnte auch nur, welcher Druck auf ihm lastete. Wehmeyer hatte ihm eine Dienstanweisung gegeben, und Albert wäre nie auf die Idee gekommen, das nicht zu respektieren. Es gab kein Entkommen. Da war sie, die magische Tür.
Was würde sie aus ihm machen?
Zögernd, mit winzigen, vorsichtigen Schritten, ging er auf sie zu, während er das Gefühl hatte, dass sie gleichzeitig von ihm abrückte, als ob sich der Raum zu einem Tunnel verzerren würde, dessen Ende er niemals erreichen könnte. Dann plötzlich konnte er einen leichten Lufthauch im Gesicht spüren – das kam von draußen! So nahe war er dem Propeller in den letzten dreißig Jahren nicht mehr gekommen.
Von hier aus konnte er sehen, dass die Flügeltüren leicht zitterten – die Tür war lebendig und wartete. Auf dem Boden die Spuren jahrelanger Rotation. Und irgendwie ging ein Sog von ihr aus. Albert kam dem Ausgang immer näher, obwohl er seinem Gehirn den deutlichen Befehl gegeben hatte, nicht weiterzugehen.
Dann betrat er eine der vier Kabinen.
Alberts Herz klopfte bis zum Hals. Hier drin war es dunkler als im Foyer und auch die Luft war eine andere: Hier vermischte sich alles. Wie in einer Herzkammer. Vorsichtig legte er die Hände auf eine horizontal angebrachte Holzstange, hielt sich fest. Jetzt müsste er ein wenig schieben, damit der Zauber funktionieren konnte, aber er traute sich nicht. So stand er ganz still, schloss die Augen und hielt sich an der Stange fest.
Schlagartig riss es ihn nach vorn, die Tür rotierte ihn mit großem Schwung nach draußen, und ehe er sich versah, befand er sich im Freien. Instinktiv drehte er sich von der Außenwelt ab, als ob er einen Angriff erwartete, und sah jemanden durch das Foyer zum Aufzug eilen. Offenbar hatte der ihn zuvor nach draußen katapultiert. Ein Tausch, quasi: einer rein, einer raus.
Langsam drehte er sich um und richtete sich auf. Es war ein schöner, klarer Wintertag. Die Sonne wärmte sein Gesicht, während vor seinem Mund der Atem kondensierte. Wie lange hatte er das nicht mehr erlebt? Wölkchenatem. Der Himmel schien viel blauer als üblich zu sein, jedenfalls hatte er ihn hinter den sicheren Scheiben seines Amtes niemals so schön erlebt. Überhaupt schienen alle Farben um Nuancen verändert zu sein, irgendwie waren sie klarer. Die Sonne hingegen blendete, so stark, dass seine Augen schmerzten und er sie mit den Händen abschirmen musste.
Hinter tausend Scheiben hatte es für Albert keine Welt gegeben. Und so hatte er einfach vergessen, wie es war, draußen zu sein. Doch jetzt waren aus zwei Dimensionen drei geworden. Die Luft, die ihn umgab, fühlte sich schwer und weich an, sie roch herrlich frisch und hatte sogar einen Geschmack, wobei er nicht sagen konnte welchen. Es war kalt, aber er fror nicht, und es war warm, aber er schwitzte nicht. Der Boden unter seinen Füßen war uneben und knirschte leicht, ganz ungewohnt, wenn man so lange Zeit über Linoleum oder polierten Stein gegangen war. Ein sanfter Wind ging, kitzelte seine Nase, und irgendwo zwitscherte ein Vogel.
Albert sog das alles in sich auf.
Die Empfindung, die er verspürte, machte ihn stumm und demütig. Er hätte ohnehin niemandem beschreiben können, was in ihm vorging. Wer hätte es auch verstanden?
Er machte seine ersten Schritte, setzte jeden Fuß ganz bewusst auf, um den Boden zu spüren und die Spuren zu sehen, die er vielleicht hinterließ. Columbus musste es so ergangen sein. Oder jedem anderen, der seinen Fuß auf unbekanntes Terrain gesetzt hatte. Dann beschleunigte er, wurde mutiger, beschwingter und eilte der Ausfahrt entgegen.
Am Ende des Weges stand das kleine Häuschen,
Weitere Kostenlose Bücher