Das Glücksbüro
Feuerzeug an ein Wasserglas und zog so alle Aufmerksamkeit auf sich.
»Bitte setzen Sie sich.«
Er sagte es ganz ruhig, aber es war erstaunlich, wie schnell seinem Wunsch nachgekommen wurde. Schon wurde es ganz leise im Raum, alle sahen ihn an.
»Ihr Enthusiasmus in allen Ehren, aber die Kosten sind nicht unser Problem.«
Erstaunte Blicke überall.
»Aber, Herr Staatssekretär«, protestierte Dr. Sommerfeldt, der sein Argument nicht ohne Weiteres aufgeben wollte, »wenn ich nur die Kosten, die in meinem Haus entstanden sind, auf alle Ämter extrapoliere, dann reden wir von Milliarden!«
Zustimmendes Nicken der Zuhörerschaft, sogar des Staatssekretärs.
»Das stimmt«, antwortete der.
»Aber was könnte schlimmer sein als diese exorbitanten Mehrkosten?«, fragte Dr. Sommerfeldt.
Der Staatssekretär ließ sich mit seiner Antwort Zeit, blickte in die Runde und sagte: »Sehen Sie, Milliarden Mehrkosten sind nicht schön, aber sie bedrohen uns nicht. Blicken Sie über den Tellerrand hinaus und erkennen Sie die Gefahr, die uns wirklich bedroht!«
Einigen war die Anstrengung, über den Tellerrand hinauszublicken, deutlich anzumerken. Doch trotz aller Anstrengung blieb ihnen verborgen, worauf der Herr Staatssekretär hinauswollte.
»Wir müssen dieses Glücksvirus eindämmen, bevor wir alles verlieren, was wir uns bisher aufgebaut haben. Denn was passiert, wenn plötzlich alle ein kleines Glück finden? Was passiert, wenn alle das Prinzip entdecken, das dem zugrunde liegt, nämlich, dass es nur wenig braucht, um aus einem kleinen Glück ein etwas größeres und aus einem etwas größeren ein noch viel größeres Glück zu machen?«
Er konnte an den fragenden Gesichtern ablesen, dass noch niemand das Prinzip durchschaut hatte, also fuhr er fort: »Dieses Volk, unser geliebtes deutsches Volk, ist nicht so weit gekommen, weil es glücklich ist, sondern weil es unglücklich ist. Weil es Furcht hat und immerzu hofft, dass noch etwas Besseres kommt. Es ist niemals zufrieden, niemals glücklich, das unterscheidet uns von den meisten anderen Völkern und darum stehen wir an der Spitze der Nahrungskette!«
Nach der Überraschung ließ die Offenbarung die Gesichter hell erleuchten: Sie hatten es begriffen. Und sie lauschten ehrfürchtig.
»Das Streben nach Glück ist eine gewaltige Kraft! Doch nur das Unglück hat uns Reichtum und Macht gebracht.«
Er sah von einem zum anderen: »Erkennen Sie die Gefahr, meine Herren! Glück ist tödlich für unser System. Glück bedeutet Stillstand. Ein glücklicher Mensch verharrt und genießt. Glück lässt uns zurückfallen in der Welt, und zwar auf einen Platz irgendwo zwischen Bananenrepublik und Takatukaland. Wollen Sie das?«
Sie schüttelten die Köpfe, hingen gebannt an seinen Lippen.
»Wir können glücklich sein und gefressen werden oder wir können unglücklich sein und fressen. Ich weiß, was ich will! Wissen Sie das auch?«
Sie wussten es und nickten heftig.
»Dann gehen Sie jetzt hinaus, meine Herren, gehen Sie hinaus in Ihre Häuser und sorgen Sie dafür, dass das Unglück zurückkehrt. Seien Sie die Säulen unserer Demokratie, retten Sie das deutsche Volk und verbreiten Sie Unglück. Schließen Sie die Glücksbüros und eröffnen Sie die Unglücksbüros. Und wenn Ihnen jemand sagt, dass er lieber glücklich sein will, dann sagen Sie ihm: Du willst glücklich sein? Dann umarm einen Baum und geh an die Arbeit!«
Die letzten Worte hatte er fast geschrien, und er erntete frenetischen Applaus dafür. Er hatte seine Beamten eingeschworen, sie auf den Weg gebracht, sie in die großen Zusammenhänge eingeweiht, und sie hatten verstanden.
Und nicht nur das: Nie waren sie treuer, demütiger und ergriffener als in diesem Moment. Nie hatten sie ihren Dienstherren so bewundert wie gerade jetzt, und nie waren sie überzeugter gewesen, dass der richtige Mann am richtigen Platz saß, der über sie alle wachte und sie leitete in dunkelster Nacht.
Bestärkt verließen sie den Konferenzraum, denn endlich wussten sie, dass ihre Aufgabe sehr viel größer war als sie selbst. Jeder Einzelne von ihnen würde sich gegen den Verfall stemmen, jeder Einzelne das Land vor sich selbst retten. Und ganz vorne ging Dr. Isidor Sommerfeldt, marschierte voran, im Bewusstsein, dass er die Spitze einer heiligen Lanze war.
Und die würde er dem Glück durchs Herz bohren.
50.
Ein Hotel oder eine Pension wäre zu einfach gewesen, jedenfalls für Anna. Und außerdem nicht nah genug an der
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