Das Glücksbüro
ziemlich dicke Beule, die immer noch weiter anzuschwellen schien. Das tat ja scheußlich weh!
Die Schwester verließ den Raum, der Arzt setzte sich zu ihm auf die Liege: »Wissen Sie, wo Sie sind, Herr Glück?«
Er sprach ein ausgezeichnetes Deutsch mit einem kaum hörbaren holländischen Akzent.
»Ich wollte an den Strand«, antwortete Albert.
Der Arzt nickte: »Sie sind umgekippt. Ihre Lebensgefährtin hat Sie hierhergefahren.«
»Ah, verstehe. Daher die Beule.«
»Ja, wir haben Sie sicherheitshalber geröntgt.«
Albert nickte und strich sich wieder vorsichtig über die Beule.
»Und? Wie geht es mir?«, fragte er.
Eine lange Pause folgte.
Albert wusste sofort, dass etwas nicht stimmte: die Schwester, die seinen Blick gemieden hatte, der Arzt, der so vertraulich neben ihm saß und nicht wusste, was er sagen sollte. Eigentümlicherweise war er nicht einmal beunruhigt. Gerade so, als ob er gleich eine Nachricht erfahren würde, auf die er schon lange gewartet hatte.
»Nicht gut, Herr Glück«, antwortete der Arzt schließlich und erhob sich.
»Was heißt das?«
Er bat Albert an den Leuchtkasten, um seinen Schädel zu betrachten.
»Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Sie sind schwer krank.«
Er fuhr mit dem Zeigefinger über eine Region in seinem Gehirn, wo Albert, bei genauerem Hinsehen, einen dunklen Schatten ausmachen konnte.
»Was ist das?«, fragte er.
»Ein Tumor.«
Albert besah sich den Schatten und konnte nichts Bedrohliches an ihm ausmachen. Das war also Krebs. Eine fast durchsichtige Kontur in einem Röntgenbild, wie ein kleines Gespenst, das sich in seinem Kopf eingenistet hatte. Es fiel nicht einmal auf, wenn man nicht extra darauf aufmerksam gemacht wurde, und sah im Grunde genommen ganz harmlos aus. Ein kleiner stiller Untermieter, so wie Albert einer war, was sein Amt betraf.
»Kann man es heilen?«
Statt einer Antwort bat der Arzt Albert, sich wieder auf die Liege zu setzen, und nahm wieder neben ihm Platz.
»Nein, der Tumor ist inoperabel. Und er ist bereits zu groß.«
Albert nickte geistesabwesend.
»Sie sollten in Deutschland einen Spezialisten aufsuchen … um alle Möglichkeiten auszuschöpfen.«
»Welche Möglichkeiten?«
»Besprechen Sie das mit einem Spezialisten. Sie sind privatversichert – da geht alles sehr schnell.«
»Und wenn es sich nicht behandeln lässt? Was glauben Sie, wie viel Zeit mir noch bleibt?«
Der Arzt zögerte, dann antwortete er ausweichend: »Man kann da keine Prognosen machen.«
»Wie lange noch, Herr Doktor?«
Albert fixierte seinen Blick, ließ ihn nicht ausweichen. Und schließlich gab der Arzt nach und sagte tonlos: »Sechs Monate. Höchstens.«
Albert nickte.
»Aber ich bin sicher, es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten. Sprechen Sie mit einem Spezialisten. Er kann Ihnen Wege zeigen, an die wir noch gar nicht gedacht haben.«
»Sie meinen Chemo?«
Der Arzt nickte: »Das ist sicher möglich.«
Albert schüttelte den Kopf: »Nein, das will ich nicht. Ich will nicht den Rest meines Lebens im Krankenhaus verbringen.«
»Lassen Sie den Mut nicht sinken, Herr Glück. Die Medizin erreicht sehr gute Ergebnisse mit einer Chemotherapie.«
Albert schüttelte erneut den Kopf: »Sie verstehen nicht, Herr Doktor. Mein Leben hat gerade erst begonnen …«
Das verstand er in der Tat nicht, wie sollte er auch? Dennoch nickte er Albert aufmunternd zu und schrieb eine Adresse auf einen Notizblock: »Rufen Sie meinen Kollegen an. Ich habe mit ihm in Deutschland studiert, und er ist wirklich eine Koryphäe auf dem Gebiet der Neurologie.«
Er riss das Blatt ab und gab es Albert: »Sie dürfen bitte kein Auto fahren und auch sonst nichts tun, wodurch Sie sich und andere gefährden könnten.«
Albert steckte das Blatt ein und sah den Arzt erstaunt an: »Was meinen Sie?«
»Haben Sie Halluzinationen, Herr Glück?«
Albert war irritiert. »Wie meinen Sie das?«
»Es würde mich nicht wundern. Der Tumor drückt auf Ihr Gehirn, so etwas kann viele Reaktionen auslösen. Kopfschmerz, zum Beispiel. Irrationale Handlungen, Bewusstseinseintrübungen oder gar Blackouts.«
»Nein, nichts davon.«
»Und Halluzinationen?«
Albert antwortete nicht darauf und gab dem freundlichen Arzt die Hand. Es wurde Zeit zu gehen.
53.
Der Gedanke beschäftigte Albert, denn je mehr Raum man ihm gab zu wachsen, desto mehr stellte er alles in Frage, was Albert für Realität hielt. Er wuchs wie der Tumor in seinem Kopf in ihm heran, nur viel schneller, und
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