Das Glücksprojekt
jemand unterhält.
Wenn jemand mit offenem Mund Kaugummi kaut. Ich muss dann immer hinschauen und sehe es sogar noch aus dem Augenwinkel.
Wenn mich ein anderer Autofahrer schneidet.
Wenn jemand unfreundlich zu Schmitz ist.
Wenn L. furzt, obwohl ich im Raum bin.
Wenn L. bei einer Diskussion diesen Gesichtsausdruck aufsetzt, der ausdrückt: Ich weiß, dass ich recht habe, auch wenn ich es jetzt nicht laut sage, und du weißt es auch. Und recht hat.
Das sind aber immer nur Momente, ich kenne keine Person, die ich wirklich hasse. Ablehnung hingegen verspüre ich öfter – weil die Leute auch einfach Vollidioten sind. Falsch, sagen die Buddhis, unsere Ablehnung weist nur auf etwas in uns hin, dem wir Aufmerksamkeit schenken sollten. Wenn uns etwas wütend macht, dann muss es ja um etwas Wichtiges gehen. Ich sehe mir meine Liste noch einmal an. Das, was mich in der Kino-Popcorn-Situation wütend macht, ist nicht das Popcorn. Es ist die Rücksichtslosigkeit, die ich dem Popcorn-Esser unterstelle. Das ist es. Rücksichtslosigkeit macht mich wahnsinnig. Egal, wo ich sie treffe, im Kino, im Straßenverkehr, oder in der Beziehung – da hisse ich die rote Fahne und die Gefühle wallen in mir hoch wie Gischt an einem Felsen, wenn es stürmt. Und dann blase ich zum Angriff – rette sich, wer kann! Dass ich so empfindlich reagiere, lässt sich wahrscheinlich, wie die meisten Defizite, auf ein nicht ausreichendes Selbstwertgefühl zurückführen.
Mit Ablehnung sind aber nicht nur Personen gemeint, sondern alle Situationen, in denen wir eine ablehnende Haltung verspüren. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie buchen einen Urlaub in einem Fünf-Sterne-Hotel direkt am Meer mit Vollpension. Und dann kommen Sie an und es ist eine Bruchbude in der Innenstadt mit lausigen Nudeln jeden Abend. Könnte da ein Fünkchen Ablehnung aufkeimen? Absolut, finde ich. Ein Vollblut-Buddhist würde wahrscheinlich dem Hotel danken, dass es ihm die Möglichkeit gibt, sich in der Überwindung von Ablehnung zu üben. Ich kenne da ein paar Hotels, die eigentlich nur für Buddhisten geeignet sind.
Auch Schmerzen lösen eine abwehrende Haltung in uns aus, logisch, kein Mensch will Schmerzen aushalten müssen. Der Buddhismus sagt aber: Widerstand gegen Schmerz verstärkt das Leiden. Was nicht heißt, dass man keine Kopfwehtablette nehmen soll. Mein Vater muss wegen seiner kaputten Nieren seit acht Jahren jeden zweiten Tag zur Dialyse, damit sein Blut gereinigt wird. Das ist, auch aufgrund seines Alters, grässlich anstrengend für ihn, und besonders die Zeit kurz vor der Dialyse ist schmerzhaft. Als ich vor acht Jahren seine Ärztin fragte, wie schmerzhaft und wie belastend die Behandlung genau sein würde, sagte sie: »Das kommt ganz auf Ihren Vater an. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die objektiv den gleichen Schmerz hinzunehmen haben, ganz unterschiedlich mit dem Schmerz umgehen. Sobald Ihr Vater das Dialyseverfahren und die dazu gehörenden Schmerzen akzeptiert und sie in sein Leben und seinen Tagesplan integriert hat, wird er sie nicht mehr als so schlimm empfinden. Schwierig ist es, wenn Patienten sich gegen Verfahren und Schmerz sträuben, das macht sie empfänglicher für den Schmerz.« Mein Vater kann sich inzwischen völlig entspannen, während er im selben Moment körperlichen Schmerz verspürt. Ich klopfe auf Holz, dass mir der Selbstversuch in Sachen Umgang mit Schmerz noch lange erspart bleibt.
Da ich keine Schmerzen bieten kann, gucke ich, wie ich mit Ablehnung und Wut buddhistisch korrekt umgehe. Ich finde leider keine direkte Anleitung zum Thema Hass auf Kaugummikauer. Generell heißt es, ich solle verstehen, dass ich selbst für mein Wohlbefinden verantwortlich sei, nicht die anderen. Dies beinhaltet, dass ich lerne, meine Defizite zu akzeptieren. Hm.
In dieser Zeit fliege ich mit L. nach Barcelona, um eine Freundin zu besuchen. In der Enge einer Traube Fluggäste, die vor dem Gate eines Billigflieger-Anbieters auf Einlass warten, steht neben uns ein Paar mit Kind. Der Vater, etwa in unserem Alter, kaut Kaugummi. Mit offenem Mund. Es schmatzt und gatscht, dass es eine wahre Pracht ist. Ich kann ihm bis zum Zäpfchen gucken. Ich strafe ihn mit Blicken in seine Mundhöhle. Ich denke immer, wenn man das macht, dann muss das dem Gegenüber doch so unangenehm sein, dass er endlich den Schnabel schließt. Es hilft nichts, er kaut weiter. Ich drehe mich weg, alle Sinne geschärft auf die Richtung, in der er steht. Ich kann
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