Das Glücksprojekt
bleiben, mir meines Körpers bewusst zu werden und die ersten Gedanken heraufziehen zu lassen. Und schlafe sofort wieder ein. Mein erster Gedanke, als ich wieder aufwache, ist: Scheiße, verschlafen! Ich glaube, das ist kein guter erster Gedanke. Er zieht auch nicht langsam herauf, sondern blinkt in Leuchtbuchstaben vor meinem inneren Auge. Mein vorherrschendes Gefühl ist Wut auf mich selbst und ich denke gar nicht daran, das liebevoll zu akzeptieren. Ich werde es eher abreagieren. Von meinem Büro aus rufe ich L. an: »Warum hast du mich nicht geweckt, verdammt noch mal?«
»Du hast gesagt du bist wachtsam oder ein Achtschwan oder so was«, antwortet L.
»Und da hast du gedacht, ich wäre bei Sinnen? Als Achtschwan?«
»Jepp«, sagt L.
Im Laufe des Tages bin ich dann noch ein paar Mal achtsam. Im Büro: Als mir die Kollegin Drösel in der Küche heißen Kaffee über die Hose schüttet, bin ich voll da. Ich merke haargenau, wie mir langsam die Galle hochsteigt und der Gedanke »Gans, blöde« heraufzieht. Auf dem Nachhauseweg: Als ich in einen Hundehaufen hineintrete, weil ich mit den Augen in ein Schaufenster vertieft bin, ist mir das sehr bewusst. Und kaum zu Hause angekommen: L. hat wieder den Müll nicht runtergetragen, das riecht man jetzt recht deutlich. Da brauche ich nicht groß in mich hineinzuhorchen, um zu spüren, dass ich sauer bin. Merken Sie auch was? Es sind immer die blöden Situationen, in denen ich innehalte. Das ist ganz schön dämlich. Ich blättere in meiner Buddha-Anleitung zum Glücklichsein und sehe, ich muss noch viel mehr Achtsamkeitsübungen machen. Und das alles nur, damit ich mich daranmachen kann, die sogenannten »Fünf Hindernisse« aus dem Weg zu räumen.
Die Fünf Hindernisse, auch die Fünf Hemmungen genannt, hindern mich nämlich an der Erleuchtung und somit am Glück, sagt der Herr Buddha. Hat man die fünf erst einmal überwunden, wird alles dufte. Bei den Hindernissen handelt es sich um negative mentale Zustände, die ich jetzt loswerden muss. Dazu braucht es die Achtsamkeit.
Es gibt ja Leute, die bereiten sich gut auf eine Aufgabe vor. Die üben, trainieren, studieren unermüdlich und geduldig, um zu erreichen, was sie sich vorgenommen haben. Achtsamkeit zum Beispiel. Ich gehöre nicht zu diesen Leuten. Sie kennen das Motto »Ich will alles, und zwar sofort«? Das habe ich erfunden. Ich kriege schon einen Vogel, wenn ich am Telefon in der Warteschleife hänge, da können Sie sich ungefähr vorstellen, wie motiviert ich bin, mich mit Vorbereitungen abzugeben.
»Schnickschnack«, sage ich und fange gleich mit den Hindernissen an.
Hindernis 1: Verlangen/Gier
Wir hatten es ja schon auf dem Tisch, das Wenn-dann-Problem. Als Kind überlegt man sich ja: »Wenn ich einmal groß bin, dann …« Das geht weiter, wenn man älter ist:
Wenn
dann
ich nur erst ein eigenes Motorrad habe,
aber.
ich erst mal volljährig bin,
passt das.
ich endlich das Studium fertig habe,
geht’s richtig ab.
ich erst mal eine Gehaltserhöhung kriege,
mein lieber Scholli.
ich diese Frau/diesen Mann kriege,
bin ich glücklich.
ich mir endlich den Porsche leisten kann,
sieht die Welt ganz anders aus.
ich mich räche,
tut es nicht mehr weh.
ich den Buddhismuskurs mache,
werde ich endlich zufrieden sein.
In meinem Leben gibt es durchaus Wenn-dann-Konstellationen:
L. und ich sind aufs Land gezogen. Da gibt es zwar keine hippen Restaurants, Programmkinos und schicke Bars um die Ecke, aber so Dinge, die einem plötzlich mit Mitte 30 ungeahnt reizvoll erscheinen: Platz, Ruhe, Wälder, Vogelgezwitscher und ein Garten, in dem Schmitz herumspringen kann. (Die Pfleger vom Tierheim wären begeistert.) Schon lange, bevor wir anfingen, uns geeignete Häuschen in der Umgebung anzusehen, war für mich klar: Wenn, dann. Wenn ich erst vor einem offenen Kamin säße, mein eigenes Büro hätte, ein Garten vor der Tür wäre … dann: Ja, dann würde ich mir vorkommen wie in »Bullerbü«.
Wir wohnten davor in dem schnuckeligen Haus, immer mit dem Gedanken: Wenn wir es erst fertig hergerichtet/eingerichtet/die Garage ausgebaut haben, dann ist es richtig toll. Mit der Finanzkrise wurde das Häuschen etwas zu kostspielig und wir suchten etwas Günstigeres. Das dauerte ewig (ein Jahr). In dieser Zeit lebten wir in dem schnuckeligen Haus mit einem wilden, romantischen Garten, wir hatten einen fröhlichen Hund, Freunde, eine liebe Familie und es war ein Traumsommer. Und wir saßen mittendrin im Paradies und zogen Gesichter
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