Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glücksprojekt

Das Glücksprojekt

Titel: Das Glücksprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Reinwarth
Vom Netzwerk:
ihn hören! Ich drehe mich zu L., um mich abzulenken, aber in meinem Blickfeldrand sehe ich den Kauer genau. Ich murmle L. ins Ohr, wie entsetzlich der Mann schmatzt, dass er aussieht wie eine wiederkäuende Kuh, dumm und ekelhaft. Noch bevor ich über seine Erziehung herziehen kann, spricht mich die Frau des Kauers an: »Sag mal, wir kennen uns doch?«
    Ach herrje.
    Wir kennen uns wirklich. Sie war mal mit mir in einem Kurs und sogar ihren Mann habe ich da getroffen, ihn nur nicht wiedererkannt. Nach einem kurzen, gedanklichen Überschlagen, ob die beiden von meinem Lästern womöglich etwas gehört haben könnten, komme ich zu dem Schluss: Nein. Ehrliche Freude über ein unerwartetes Wiedersehen kann man nicht so gut spielen, wenn man eben als ekelhafter Vollarsch tituliert wurde. Wir unterhalten uns und setzen uns auch im Flugzeug nebeneinander, die beiden sind wirklich sehr nett. Und lustig und freundlich. Der Mann kaut auch im Flieger sein Kaugummi, das Neue ist nur: Es stört mich kein bisschen! Ich unterstelle ihm nicht mehr: »Du denkst wohl, dass du genüsslich schmatzen kannst wie ein Rindvieh, ist viel wichtiger als mein Ekel?« Er macht es einfach. Vermutlich findet er es bequemer, ist es so gewohnt oder hat die Nase zu, ich weiß es nicht. Und vor allem: Es interessiert mich auch nicht. Es hat einfach nichts mit mir zu tun.
    Das erinnert mich an alte Streitigkeiten mit meiner Mutter, als ich noch ein Teenager war: Ich verteilte meine Klamotten regelmäßig auf dem Boden meines Zimmers und sie regte sich fürchterlich auf und sagte Dinge wie:
Du hältst mich wohl für deine Putze!
Du denkst dir wohl, die Alte macht’s schon weg!
    Liebe Mütter: Das stimmt nicht. Man denkt sich überhaupt nichts dabei und man macht sich schon gleich gar keine Gedanken über seine Mutter, während man Kleidung auf den Boden schmeißt. Und genauso denkt sich der Kauer nichts dabei. Und der Popcornesser denkt sich auch nichts dabei. Ich habe jetzt eine neue Methode: Sobald die Wut in mir hochsteigt, denke ich an den Kauer und die Klamotten in meinem Jugendzimmer. Das mag kein buddhistischer Schawarma-Weg sein, aber mir hilft es. Wenn es Ihnen auch hilft: Bitte sehr, bedienen Sie sich.
    Hindernis 3: Trägheit
    Ach du Scheiße, denke ich und sehe meine Samstagvormittage im Bett in Gefahr. Trägheit , das kommt mir doch bekannt vor, und ich gucke nach. Tatsächlich, in der katholischen Kirche gibt es die auch: Acedia: Trägheit des Herzens/des Geistes. Und es ist gleich eine Todsünde! Ob die Angestellten der Deutschen Post das wissen? Da kann man in die Hölle kommen dafür! Und wahrscheinlich werden einem dann da die Brüste abgeschnitten, wie ich den Verein kenne.
    Trägheit lähmt uns, körperlich und psychisch. Besonders gefährdet sind Leute ohne Job: Wenn die Allgemeinheit weniger von einem erwartet und sich nicht mit einem beschäftigt, traut man sich selbst immer weniger zu. Je länger dieser Zustand anhält, desto schlimmer. Trägheit sieht dann so aus:
Der Staat wird sich schon um mich kümmern.
Ich traue mich nicht, was zu verändern, ich kann ja eh nix, ist eh alles scheiße.
Das hat zur Folge: Ich bekomme den Hintern nicht hoch.
    Trägheit ist aber auch, wenn man einfach nur im Trott vor sich hin funktioniert, es sich in seinen Gewohnheiten bequem macht, geistig stehen bleibt und sich nicht weiterentwickelt. Hermann Hesse, der sich mit dem Suchen und dem Stehenbleiben beschäftigte, schrieb dieses Gedicht, das wir wahrscheinlich alle mal auswendig lernen mussten und das prima hier reinpasst:
    Stufen
    Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
    Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
    Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
    Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
    Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
    Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
    Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
    in andre, neue Bindungen zu geben.
    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
    Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
    An keinem wie an einer Heimat hängen,
    Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
    Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
    Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
    Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
    Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
    Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
    Wohlan denn, Herz, nimm

Weitere Kostenlose Bücher